Spätestens nachdem ich Student geworden war, gewöhnte
  ich mir an, unter freiem Himmel prinzipiell eine
  Kopfbedeckung zu tragen. Das war ein normaler Usus
  unter meinen Kousins, und schon früher hatte ich hie
  und da, oft, Kappen getragen, Barets probiert, alles
  unter ihrer liebevollen Aufsicht. Für Berets war mein
älterer Kousin, ein grosser Fan des "Green Beret"
  Spiels zuständig, für Kappen mein jüngerer. Nie werde
  ich meine Larry Bird - Kappe vergessen, die er geerbt
  hat. Eigentlich war ich von Berets mehr eingenommen,
  doch fand sich nie ein passendes, und extra habe ich
  mir nie eins gekauft. Erst beim Bundesheer durfte ich
  als Jäger endlich mein "Green Beret" tragen, doch
  Ironie des Schicksals, hatte ich dort immer mit den
  Kopfbekleidungen zu kämpfen. Sei es weil wir eine
  kleine Kaserne in Kagran waren oder aus anderen
  Gründen, während meines gesamten Präsenzdienstes fand
  sich nie ein Kappe, die ganz auf meinen Kopf gepasst
  hätte, ausser sie war dehnbar. Ich vermute aber, dass
  die Bekleidungs-UOs genau meine Eitelkeit gespürt
  haben und mir deswegen ständig Kappen gaben, die zu
  klein waren. Ich trug sie dennoch mit dem ganzen
  Stolz, den ich ob dieses Schönheitsfehlers imstande
  war aufzubringen. Deleuze jedenfalls, der Vampir, war
  der Philosoph mit dem Hut. Und den langen Fingernägeln.
  (Die Kappen waren mitunter ein wichtiges Versatzstück
  für den Unfug der Alltagstelepatie. Ein Gefühl.)
  (Ein Student, in einer Zeit der mässig betriebenen
  Menschenrechte, begann um seinen Verstand zu
  fürchten.)
Erstes Erlebnis
Als ich das erste Mal so unsanft aus meiner sicher
  scheinenden Festung der eigenen, ganz privaten
  Gedanken gerissen wurde, dachte ich mir nichts dabei.
  Schwerlich konnte ich damals schon daran gezweifelt
  haben, dass Gedanken frei sind. Es geschah eines Tages
  auf der Strasse am Nachhauseweg, dass ich mir mal
  wieder über das Wesen und die Natur der Menschen
  ungerichtet Gedanken machte, als mir der Satz durch
  den Kopf ging, ich wunderte mich so manches mal: 
“Die Menschen sind doch komisch.“. Und gerade in dem
  Moment rief sichtlich erbost ein Mann, der sich auf
  der anderen Strassenseite an einem Kleinbus zu
  schaffen machte, aufschauend, in meine Richtung:
“Komisch!“, und es klang wie “Unfug!“, es klang, als
  ob er mich nachäffen wolle, mir die Dummheit meiner
  Gedanken zu Ohren bringen wollte. Zweifelsohne hatte
  ich mich verhört. Denn sicherlich hatte ich kein
  lautes, sondern höchstens ein kleinlautes
  Selbstgespräch geführt. Oder war es einer dieser
  Zufälle gewesen, die bekanntlich vieles vollbringen
  können, was aber, selbst bei sorgfältigster Planung,
  willentlich unmöglich zu erreichen ist? 
  Jedenfalls war das Erlebnis für mich so unwichtig,
  dass ich es sicher bald vergessen hätte. Es gab so
  viele andere Gedanken die sich mir aufdrängten, weiss
  der Geier, und sie hatten durchwegs mit realeren
  Erlebnissen zu tun. Überhaupt gab es wenig, das mich
  ernsthaft verstören konnte. Ich führte das zum einen
  auf mein Alter zurück, eine gewisse Abgebrühtheit, die
  mit der Gewohnheit und der allmählichen Abkühlung der
  Nervenbahnen zunahm. Zum anderen aber, und dem mass
  ich im Zusammenhang mit meiner Gelassenheit mehr
  Bedeutung zu, war es das Resultat langer Übung der
  Konzentration und des Selbstbewusstseins, ahh, dyana.
  Niemand erwartete mich, als ich meine kleine Wohnung
  im 16ten betrat und so begrüsste ich nacheinander
  einige Gegenstände wie sie in den Blick traten, hallo
  Rucksack, aha der Herr Regenschirm, nahm die Kappe,
  auf der in Grossbuchstaben NYC stand, ab, nicht lange
  her, es konnte sich nur um Monate handeln, hatte ich eine
  Kappe mit der Aufschrift <Bubble Gum< verloren,
  entledigte mich der restlichen Strassenkleidung und
  schaltete den PC ein, gespannt auf Korrespondenz.
  Endlich allein, dachte ich mit Baudelaire, vorbei die
  Tyrannei der Menschengesichter. Ich nahm mich nicht
  ernst, genoss die Stille der Wohnung, die nur durch
  das Gelichter der erleuchteten Fenster gegenüber
  gestört wurde. Richtige Vorhänge bräuchte ich, nicht
  diese fadenscheinigen Deko-Girlanden, die abends, wenn
  das Licht brannte, nichts verdeckten, oder so
  zumindest hatte ich jeden Abend das Gefühl. Ich
  wunderte mich über meine Nachbarn vis-a-vis, einem
  wohlsituierten Pärchen in einer grossen Wohnung, die
  auf Vorhänge grösstenteils verzichteten, ich war
  jedoch in diesem Sinne kein Voyeur. Es war keine ePost
  da und ich legte mich bald mit einem Buch ins Bett.
>Ich gehe mit Dostojewski ins Bett<, scherzte ich
  dabei, lau. ( Damals gab es noch keinen Gameboy DS, den
  man im Bett liegend einhändig bedienen konnte, könnte
  ich heute, bei der Korrektur scherzen.)
  Und so ging für mich ein Tag zu Ende und ich ahnte
  nicht, dass ich die Manifestation eines seltsamen
  Phänomens erlebt hatte, das mich noch lange in Atem
  halten würde.
Bestätigung
Das Erlebnis beschäftigte mich weiter. Wenige Tage
  danach besuchte ich eine Freund, P, einen Bohemien,
  der wilde, farbenfrohe Bilder malte, die zumeist ein
  Netz ineinander verwobener, annährend geometrischer
  Gestalten aus kräftigen, farbigen Pinselstrichen
  darstellten. Persönlich hatte ich die Bilder recht
  gerne, sie befriedigten meinen ästhetischen Sinn,
  obwohl mir sonst das Abstrakte fern stand. P führte
  das relativ ausgelassene Leben eines jungen Erben, der
  es sich leisten konnte noch nicht an die Zukunft zu
  denken, und die Gegenwart mit geistigen Getränken und
  Gedanken anregend zu gestalten. Wir plauderten ein
  wenig, doch wollte kein anregendes Gespräch zustande
  kommen weil wir uns längere Zeit nicht gesehen hatten
  und beide in eigene Probleme vertieft waren. Wie immer
litt er unter dem Mangel an Ausstellungsmöglichkeiten.
  Ich verabschiedete mich bald und dann passierte
  es: Während ich im Vorzimmer die Schuhe schnürte
  dachte ich, gedanklich schon wieder bei meinem neuer-
  dings erlebten Phänomen: 
“Vielleicht kann ich meinen Wahn ja positiv sehen.
Möglicherweise gehöre ich einer anderen, neuen Art von
Menschen an.“ – 
“Also das brauchst nicht zu glauben.“ – ertönte darauf
sogleich, barsch, die Stimme meines Freundes, der
hinter mir aus dem Wohnzimmer aufgetaucht war. 
“Nein, nein, glaub ich eh nicht.“ – Erwiderte ich beim
Aufstehen. 
Die Worte entfuhren mir ganz unwillkürlich, bevor ich
noch daran denken konnte, dass wir gerade ein Gespräch
geführt hatten, das keinen anderen Gegenstand, als nur
meine nicht laut geäusserten Gedanken, hatte.
Ich stolperte aus dem Haus auf die Allee und erblickte
die jungen Birken, die hier am Übergang vom Stamm zur
Krone seltsame knollenartige Verdickungen aufwiesen.
Irgendwie beruhigten sie mich. P hatte mich einmal auf
diese Verkrüppelung aufmerksam gemacht und gemeint,
dass sein Elternhaus nicht zufällig hier stand. [...]
Mein Blick ruhte weiterhin auf den seltsamen Bäumen,
während ich mich vom Haustor meines Freundes
entfernte. Ich blickte die Allee entlang und scheute
ein bisschen vor den wenigen Passanten. Was, wenn auch
sie meine Gedanken erraten konnten? Es passierte
jedoch nichts. Und auf dem Nachhauseweg kehrten meine
Gedanken immer wieder zu diesem erneut sehr
merkwürdigen Ereignis zurück. 
Reflexion, Vijana
Wenn das eine Form von Geisteskrankheit sein sollte,
  dann fand ich sie nicht sehr spassig. Trotzdem
  beunruhigte mich die Vorstellung nicht. Am
  wahrscheinlichsten schien es mir aber, dass es eine
  Form von Überspanntheit war, und im schlimmsten Fall
  die Wahnvorstellungen eines kränkelnden Geistes. 
  Immerhin meditierte ich seit einiger Zeit, nach der
  Zen – Methode, genauer gesagt nach einer Methode, die
  sich auf das Zählen der Atemzüge beschränkte, SOTO-ZEN
  wurde es genannt, eine von den zwei grossen,
übriggebliebenen Traditionen. Der erste direkte
  Effekt, der mir dabei aufgefallen war, die Zunahme der
  Konzentration und ein dadurch subjektiv beschleunigter
  Gedankenfluss, da mir weniger Gedanken des inneren,
  ständigen Monologs entgingen, konnte allerdings mit
  diesen neuerdings aufgetauchten Erlebnissen
  zusammenhängen, ja, sie sogar ausgelöst haben.
Andere Einflüsse
Ich führte das Ganze aber teilweise auch auf meine
  Drogenerfahrungen in der Jugend zurück, dem Rauchen
  von Cannabis, dem Einnehmen von LSD – Trips. Vor allem
  letztere liessen die Raumproportionen durcheinander-
  und ihn manches Mal in bestürzend grosse, manchmal
  winzige, Räume geraten, oder er vermeinte im Bett
  liegend zu schweben, als ob sich von seinem Körper
  eine Art ´Astralleib´ gelöst hätte und dieser
  Doppelgänger, der einen halben Meter über dem Bett
  flog nun er wäre obwohl er gleichzeitig fühlte, im
  Bett zu liegen, damals, mit Walkman - Kopfhörern in
  den Ohren. (Verstoss a 1)
  Alles in allem hatte ich also schon einige absurde
  Situationen erlebt, um nicht “aus dem Häuschen zu
  geraten“, wie ich in meiner Vorliebe für den Volksmund
  gerne scherzte. 
  Es war ja schon eine Proto - Situation Jahre vorher
  geschehen, die, da nicht wiederholt, ihm nur ab und zu
  einfiel: Es war passiert bei einem der ersten Male als
  er Haschisch geraucht hatte. Plötzlich, wir sassen im
  Bruder des Zimmers, mit Josi herum, der am Compi,
  Bruder und ich auf dem Bett, ich hatte die Füsse
  angewinkelt und eine dieser Tabakpfeifen zum Rauchen
  benutzt, als ich plötzlich ganz deutlich eine auditive
  Halluzination hörte: "Janus, Janus" - laut und hell
  rief die Stimme seiner Mutter wiederholt seinen Namen,
  sicherlich 10 oder 20 Mal. Ich bestätigte mich bei den
  anderen, dass es tatsächlich nur in meinem Kopf
  geschah. Aber Ich dachte nicht weiter darüber, wie
  gesagt war es eine einmalige Sache.
Andere Beispiele
Ich kannte einige Krankengeschichten von Menschen die
  ihre Umgebung krampfhaft auf sich bezogen, in jedem
  Passanten einen Teilnehmer an einer Verschwörung
  sahen, und ähnliches. Viele meiner Bekannten schienen
  verrückter zu sein als ich, selbst unter diesen neuen
  Umständen. Ein Freund hatte sich wegen einer ganz
ähnlichen Sache, der Wahnsinn an eine gegen ihn
  gerichtete Verschwörung zu glauben, dabei nutzte er,
  ausser ein wenig Alkohl so gut wie gar keine
  gefährilichen Substanzen, aufgehängt. Warum hat er
  sich denn nicht von mir helfen lassen wollen! 
  Mir jedenfalls schossen keine göttlichen Emanationen
  aus dem Arsch, wie dem Gerichtspräsidenten Schreber
  und löste sich mein Gesicht nicht in einzelne Poren
  auf, wie beim Wolfsmann, den bekannten Exempeln von
  Freud. Nein, ich beschloss, mich als harmlosen Irren
  einzustufen, im besten Fall als einen Begnadeten, den
  man frei laufen lies und von seinen Pflichten entband,
  wie ehemals bei den Indianern. Noch dazu ich meinen
  alltäglichen Pflichten durchaus nachkommen konnte. Wie
  texteten wir Jahre später mit Gregor: Den
  Akkordarbeiter muss man sich als glücklichen Menschen
  vorstellen.
  Eine Freundin, mit der er einige Tage später sprach
  während sie von einer Vorlesung kommend den
  Paternoster passierten, sagte ihm, dass Telepathie als
  wissenschaftlich erwiesen galt. (Szene mit Feministin
  einfügen.)
  Bei Turgeniew, den er zufällig gekauft hatte,
  wahrscheinlich wegen einer Anspielung aus einem Stück
  von Thomas Bernhard, las er, dass Menschen, die nahe
  beieinander waren, oft gleiche Gedanken teilten. Es
  gab genug Quellen, wenn man so wollte.
Das Summen
Etwa ein halbes Jahr zuvor war ohnehin ein anderes
  Phänomen, zweifelsfrei eine Wirkung, möglicherweise
  eine Nebenwirkung der Meditationspraxis, aufgetreten.
  In Annährung an die richtige Haltung bemühte er sich
  seine Wirbelsäule aufzurichten, die sich während
  seiner Jugend immer bedenklicher gebeugt hatte.
  Tatsächlich hatte ich viele Jahre gebraucht um mich
  erst alleine und dann in Gesellschaft aufrecht halten
  zu können. Selbst als ich die Gewohnheit, darauf nihct
  zu achten aufgeben konnte viel es mir noch immer
  schwer mich gerade zu halten, wenn ich nicht allein
  war, ganz als ob ich mich auf jeden Fall vor den
  anderen nicht vergrössern wollte. 
  Die Beine verschränkt, die Füsse auf den Schenkeln
  ruhend, die Knie auf den Boden drückend und mit dem
  Kopf “gegen den Himmel stossend“. Das war nicht mehr
  Geistesübung alleine, da war auch das Kreuz, die
  Schultern, der ganze Körper daran beteiligt. Es nannte
  sich schlicht Shikantaza; Vortreffliches Sitzen,
  Einfach-nur-Sitzen.
  Aber worauf ihn niemand vorbereitet hatte, worüber er
  nichts gelesen hatte, seine Quellenkenntnisse in
  diesem Punkt waren augenscheinlich minimal, war der
  Umstand, dass ich anfing Grillen, Zykaden, den “Sound
  der Welt“ zu hören, wie man es auch immer nannte,
  jedenfalls nannte ich es bald so, und es erstaunte und
  erfreute mich gleichermassen. Es schien ihm ein
  Zeichen innerer Stille zu sein. Tja, die Bachmann und
  ihre Zykaden, langsam spinnte ich Verbindungen.
  Das erste Mal war der Ton aufgetaucht, während ich
  alleine in meinem Zimmer meditierte. Dabei wusste ich
  sehr wohl wie der erste Punkt auf der universellen Zen
– Checkliste lautete: "Übe nicht allein." - Aber das
  hier war wilder Zen, einer der unkontrollierten
  Sprösslinge einer grossen überlieferte Hierarchie. Es
  war eher wie die Experimente der Beatgeneration, wie
  die vergessenen Versuche der Künstler- Philosophen der
  Renaissance, für sich neue Wege zu erkunden. Also was
  praktisch überall versucht wurde. Und ausserdem
  praktizierte ich nicht nur allein. Helm hatte ihn
  nicht nur eingeführt, sondern auc hweitergeführt.
  Der Ton, es war eigentlich kein Geräusch, liess sich
  am ehesten mit einem abgedämpften, gleichmässigen
  Grillenzirpen vergleichen und noch mehr glich es dem
  verstärkten Summen eines Fernsehers, das man vor allem
  in der Kindheit, mit freischen Sinnen vielleicht,
  stark, sehr körperllich spüren kann, mit meinem Bruder
  waren wir in der Lage zu erkennen, ob ein Fernseher im
  Nebenraum lief, selbst wenn kein Ton eingeschaltet war
  und wir kein Mattscheibenlicht sahen. 
  In der Zenliteratur, soweit ich mich auskannte, kam
  das Gesräuschphänomen nicht vor. Allerdings las ich er
  nicht lange darauf von einem ähnlichen Fall in einer
  Kurzgeschichte von Ray Bradbury, den er wegen
´Fahrenheit 451´ schätzte. Der Band hiess ´Die
  goldenen Äpfel der Sonne´. Dort spielte nicht die
  Meditation sondern ein Elektrizitätswerk den
  Katalysator, der das Summen in der bislang ignoranten
  Frau des Mannes der "hörte" auslöste. 
  Daraufhin hatte er allmählich angefangen Fakten zu
  sammeln und sich an Fakten zu erinnern, die er von
  früher her kannte. Eigentlich gab es viel Material,
  das in dem Zusammenhang interessant war. Ohm,
  Welttönen, Geist, vielleicht Ritornell, vielleicht
  sogar Hintergrundrauschen, das Phänomen konnte viele
  Namen haben. Er bezeichnete es als Sound der Welt. Er
  war sich nicht sicher ob es ein Fortschritt, eine
  Illusion oder einfach nichts war. Vielleicht hatte
  sich gar nichts geändert, und der Sound war schon
  immer da gewesen? Es war mir egal, so sehr
  interessierte es mich auch wieder nicht. Ich achtete
  nur genau, wann ich ihn vernahm, wann nicht. Es hatte
  viel damit zu tun, ob meine Wirbelsäule wie auf einem
  Faden aufgehängt, das heisst gerade war, oder nicht.
  Ich überlegte, ob es in dieser Situation angebracht
  wäre, weiterhin zu meditieren.
Der spirituelle Freund
Mein Freund Helm, der mich mit der Welt des Zen
  vertraut gemacht hatte und der schon jahrelang Taiji
  praktizierte, mein einziger richtig “spiritueller
  Freund“, wie der Fachausdruck lautete, schwieg zu
  diesen Geschichten oder liess mich seinen Zenstock,
  seine gna-den-lo-se Zunge spühren. Er machte eine
  offensive Taiji – Bewegung in meine Richtung und
  scherzte: “Ich stosse dich gleich mit meinem Chi zu
  Boden, wenn du nicht mit dem Blödsinn aufhörst.“ Wir
  waren darin übereingekommen, dass die Essenz des Zen
  nicht in Hokuspokus, nicht in übernatürlichen
  Phänomenen bestand, sondern in Achtsamkeit für die
  alltäglichen Verrichtungen. Ausserdem klang die ganze
  Geschichte wie Angeberei, ich war jedes Mal beim
  Erzählen sichtlich stolz darauf. Doch die Erfahrung
  und die Lektüre hatten uns belehrt: Alles kann ein
  Irrweg sein oder dazu werden. An allem konnte man
übermässig anhaften. Die Erleuchtung, falls es sie
  gab, hatte nicht viel zu bedeuten und war eher eine
  Art Bestätigung oder ein Wegstein von etwas anderem.
  Die Erleuchtung, das waren Einsichten, in ´das Wesen
  der Freiheit´, die oft wiederholt werden mussten. 
  Mein Freund vertrat mir in vielerlei Hinsicht die
  Rolle des Meisters. Er machte mich auf interessante
  Stellen in der Zenlitaratur aufmerksam, borgte mir
  unzählige Bücher und wir sprachen oft und ausführlich,
  meistens über Zen und Taiji. Ausserdem Castaneda.
Deal: Castaneda - Zen beschreiben, meine Verachtung
  für Zen
Dem Auftreten des Summens war ein Wochenend – Retreat,
  eine dreitägige Klausur unter des Teemeisters Aufsicht
  vorangegangen.
Retreat
Dabei hatten sie seinen Meditationsplan laut dem
  Muster eines Klosters in Südfrankreich, die im Anhang
  eines Buches und im Internet zu finden war, erstellt.
  Sie bügelten allerdings einige Härten aus, vor allem
  das frühe Aufstehen. ( Als Arbeitsersatz zwischen den
  Meditationsphasen hatte er sich die Durcharbeitung
  eines Buches über den englischen Philosophen David
  Hume vorgenommen. ) Nach der Einteilung trug er diese
  sogleich in den Palm – Handcomputer ein, der zu allen
  Abschnitten des Tages ein Signal geben sollte. Denn es
  gab hier keinen Klostervorsteher oder Abt, der den
  Gong hätte schlagen können. Sein Palm erleicherte ihm
  deswegen die Klausur enorm, wie er fand. Der Alarm war
  dem Intercom der Enterprise nachempfunden, ein
“ti-di“, das Teil eines im Internet gefundenen, 50 kb
  grossen Star Trek – Themas für das Palm- Userinterface
  war. Sein Freund drohte zwar scherzhaft mit dem Taiji
– Schwert, einem schmucklosen Ding aus hellem,
  lackierten Holz, dennoch freute er sich beinahe, das
  sich der von ihm verachtete Palm wenigstens einmal als
  nützlich erwies. Und am ersten Abend hatte er mir die
  Taiji – Schwertform vorgetragen, einen Tanz aus
  fliessenden Bewegungen die dem Atemrhythmus angepasst
  waren. Ich beobachtete das Schauspiel genau und
  empfand es wie ein Geschenk, es miterleben zu dürfen,
  denn ich wusste, dass es nicht zu meiner Ergötzung,
  sondern zur Stärkung der Praxis diente. Taiji stammte
  aus dem Taoismus sowie dem Zen. Aufmerksamkeit, Atem
  und Körperhaltung waren dabei die sensiblen Punkte.
  Immer waren runde Formen gefragt, auch bei den
  dazugehörigen Chigong – Übungen. Er erinnerte sich an
  das Dao – De – Ging: >Da ich seinen Namen nicht kenne,
  nenne ich es Dao. Das was benannt werden kann, ist
  nicht der Weg.< Das war lediglich der Ausdruck der
  zugrundeliegenden Philosophie und ich hatte damit nie
  viel anfangen können, im Gegensatz beispielsweise
  eines Ken Wilber, aber der Alltagsgeist der Praxis
  hatte seine jeweils spezialisierten Methoden. Auch die
  Shaolinmönche meditierten und bauten Chi auf. Ihre
  Gliedmassen fühlten sich nachher wie aufgebläht an,
  was ich mir aus einer Sendung über die Shaolin gemerkt
  hatte, und da ich dergleichen Filme, der frühe Jacky
  Chan im Affenstil, die Filme im mittelalterlichen
  Sujet waren allein ästhetisch, aus der Kindheit
  kannte. Sei es durch das viele Lesen, sei es durch die
  Tagträumereien, denen ich mich sooft reglos hingegeben
  habe, fühlte ich oft meine Arme wie ausgedehnt,
  aufgeblasen, als hätten sie ihre Grenzen wie
  ausserhalb der Haut auf doppelten und dreifachen
  Armdurchmesser vergrössert, solange ich mich still
  verhielt, das Fliessen nicht störte. Und obwohl ich
  früher nicht darüber nachgedacht hatte, was das zu
  bedeuten hätte, war es mir immer sehr angenehm, oder
  jedenfalls interessant erschienen, und ich versuchte
  die Zustände zu prolongieren. Jedoch waren sie bewusst
  nicht herbeizuführen, ich dachte nie über sie nach,
  und sobald ich mich zuviel auf sie konzentrierte
  verschwanden sie sowieso. Darüber sann ich also nach,
  während ich sich auf die Meditation vorbereitete. Wie
  viele Erfahrungen blieben ohne Konsequenzen, weil wir
  sie nicht zu benennen wissen, wie viele Wörter bleiben
  leer, weil sie nicht im Alltag ihren Grund haben. Und
  von wie vielen Gemeinschaften müssen wir lernen, bis
  wir auch die Informationen aus Büchern und anderen
  Medien nützen können? Das hatte ich schon oft gedacht,
  in der Unizeit. Es war mir beigebracht worden so zu
  denken.
  Die Klausur schliesslich war nicht zum Lachen. 
  Die Praxis des Soto – Zen, das Zählen der Atemzüge,
  auf japanisch Su – Soku – Kan, praktizierte ich, indem
  ich sowohl Ein- als auch Ausatem zählte, die kürzeren
  Pausen liessen weniger Zeit zum Denken, als wenn ich
  nur beim Einatmen oder nur das Ausatmen gezählt hätte.
  Das alles war beschrieben, in einem der beschreibenden
  Systeme, Anleitungen. Es war schwierig genug, sich auf
  das Zählen zu konzentrieren und nach 10 nicht weiter
  zu zählen, sondern von vorne zu beginnen. Diese
  Grundzüge standen in jedem praktischen Zenbuch. Ich
  fühlte mich reif genug für einen ernsthaft gemeinten
  Versuch.
  Am ersten Tag in der Früh hatte ich müde in der
  Meditationshaltung dahingedämmert, nachdem ich kaum
  aufgestanden war. Nach 25 Minuten, der traditionellen
  Zeit die ein Räucherstäbchen zum Abbrennen braucht,
  machte ich eine Pause und trank den schwarzen Kaffee
  den der Meister, gerade erwacht und sehr wortkarg,
  aufgebrüht hatte. Jeweils eine knappe Stunde sitzen in
  der Früh, zu Mittag und am Abend, mit weiteren 25
  minütigen Phasen dazwischen. Zu allem Überfluss waren
  meine Zigaretten rationiert, auch wenn ich ab und zu
  eine zusätzliche einschmuggelte, ich hatte auch
  Ausgang, die ich dann am Balkon rauchte. 
  Aber am zweiten Tag geriet ich schliesslich so in
  Fahrt, dass ich nach der Mittagsmeditation, die wie
  gemeinsam bestritten, freiwillig länger sitzen blieb.
  Mein Freund war das erste Mal sichtlich mit mir
  zufrieden. Als sie am Abend bei einem Drachenbrunnen –
  Tee sassen, gewährte er mir zusätzliche Sakshimis, wir
  (er!) die Zigaretten in Anlehnung an das Vokabular der
  Teezeremonie manchmal nannten und lobte ausführlich
  die erbrachte Leistung. Länger sitzen zu bleiben war
  kein Zuckerlecken. Er las mir eine Zengeschichte vor: 
  Als sich der Adept, nachdem er sich vom Meister vom
  Berg nicht verjagen lies, nach wochenlanger,
  schweigender Meditation das erste Mal mit diesem
  austauschen konnte, fragte er ihn: 
>Heute während der Meditation hörte ich plötzlich
  einen Donner und es war, als ob die Welt verschwände.
  Was bedeutet das?<
>Du brauchst darauf keine Rücksicht zu nehmen.< sagte
  der Meister. >Das passiert mir oft und dennoch muss
  ich noch Jahre hier sitzen, will ich Freiheit
  erlangen.<
  Obwohl meine kurze Klausur gänzlich unspektakulär
  verlaufen war und ich keine aussergewöhnlichen
  Einsichten gehabt hatte, stärkte sie mich enorm und
  lies seine Konzentrationsfähigkeit anwachsen.
  Ausserdem hatte ich den Humetext von Deleuze
  extrahiert. Bald darauf begann allerdings das Summen. 
Diagnose
Aber der ´Sound der Welt´, die Chi – Stärkezustände,
  die geschärfte Aufmerksamkeit und das dadurch
  aktivierte Gedächtnis, oder der leichtere Zugang dazu,
  waren die eine Seite, sozusagen positiven Früchte der
  Praxis, zu denen ich mich entschloss auch das Summen
  zu zählten, da es harmlos war. Es gab jedoch genügend
  Hindernisse. Im Buch eines japanischen Zen – Meisters
  aus der Gegenwart, der sehr an der modernen Technik
  der Gehirnwellenmessung zur Erforschung der Zustände
  während der Meditationspraxis interessiert war, fand
  ich weitere mögliche Gründe für einen Abbruch der
Übungen. Sie trafen teilweise auf mich zu. Der Meister
  beschrieb mehrere Fälle aus seiner eigenen Erfahrung,
  in denen die Praktikanten unangenehme Situationen
  erlebten, sie hörten Stimmen und bekamen Paranoia. Die
  möglichen Störungen der Psyche, die vielen
  Verwirrungen der Menschen empfiehlt er daswegen
  pragmatisch, so sie unangenehm werden, besser durch
  sachgemässe Behandlung zu kurieren. Zen war kein
  Mittel gegen Wahnsinn, eher konnte es bei labilen
  Charakteren diesen hervorrufen. Und ihn plagten und
  erheiterten im zunehmenden Masse ja aussergewöhnliche
  Ereignisse, die nicht normal waren. 
  Seine vorläufige Diagnose ergab, dass ein Ereignis –
  Cocktail aus Drogen, Unterentwicklungen und
  Stillständen seiner Gesamtpersönlichkeit, die bis zu
  Schädigungen reichten, es half nichts, sozialer
  Deprivation und regelmässiger Meditationspraxis,
  unsachgemäss oder nicht, vielleicht auch durch
Überschätzung oder Nichtachtung seiner Kräfte, die
  Symptome Wahnvorstellungen, wenn auch Einsichten, von
  harmlosen Begleiterscheinungen wie dem Summen im Ohr,
  dem mutmasslichen Ohm, begleitet, was zeitlich
  vorausging, all das hervorgerufen haben könnte.
  (Verstoss a 2?) Das beunruhigte ihn nun doch ein
  wenig. Er konnte sich schon den ärztlichen Befund
  vorstellen; >Der Patient ist jedoch
  kommunikationsfreudig und kann mitlachen.< Das stand
  jedenfalls bei meinem Freund h.c. aafoch. 
  Ich beschloss, mit dem Meditieren aufzuhören. Ich war
  so weit gekommen, dass ich darüber zu schnell geworden
  war; offensichtlich. Während meine Konzentration
  wuchs, hatte ich nicht bedacht, wie viel
  Schwierigkeiten mir der Umgang mit Menschen bereitete.
  Das konnte mit keiner Meditation bereinigt werden, nur
  durch realen zwischenmenschlichen Kontakt. Das
  Hinderlichste für jedwede Entwicklung ist die
  Soziopathie. Hat man schon einen Mönch allein gesehen?
  Das waren Ausnahmen. Einen Menschen konnte man sich
  eben nicht alleine vorstellen. Ja selbst den Teufel
  nicht. Wie sagte Deleuze: >Der Teufel ist vielleicht
  der Beelzebub, aber nur als Herr der Fliegen.< War das
  eine Anspielung auf die berühmte Geschichte, in
  welcher die Kinder sich gegenseitig die Hölle
  bereiteten, Der Herr der Fliegen? Ich wusste es nicht
  mehr, es war ein Schulklassiker gewesen, ich verstand
  damals gar nichts, es wiederte mich regelrecht an.
  Hingegen glaubte ich, dass ich doch gerade dabei war,
  von der krankhaften Soziopathie des notorischen
  Miesmachers, wenn man es überspitzt formulierte, zu
  der harmloseren Variante eines wohlwollenden Narren,
  herumzuschwenken. Und gerade jetzt fingen diese
  Wahnvorstellungen an! Ich beschloss, nichts auf sie zu
  geben, sondern sie vielmehr zu übersehen wo es ginge
  und sich zu amüsieren, wenn sie sich aufdrängten.
Pornos
Ich onanierte nun häufiger und hatte das Gefühl,
  während ich die Pornos in und aus dem Internet
  betrachtete, von seiner Nachbarin vis - a - vis
  beobachtet zu werden. Ihr Freund hingegen, oder ihr
  Mann, was wahrscheinlicher war, lehnte sich in letzter
  Zeit eher drohend hinaus und betrachtete mich scheel.
  Wirklich hatte ich in letzter Zeit, vor allem im
  Sommer, meine Hauskleidung vernachlässigt und war
  sogar betont lässig nackt in der Wohnung gewesen. Es
  erinnerte mich an seine letzte Liebe, die einige Male
  bei mir gewesen war. Ich wünschte, undurchsichtige
  Vorhänge zu haben, half dem Zustand jedoch nicht ab.
  Regelmässig lies ich sich von den Frauen und den
  Künstlern der Pornobranche erregen und sah an einem
  Tag bis zu mehrere Duzend gefilmter oder gezeichneter
  Frauenkörper in verschiedensten Stellungen und
  Arrangements. Der bequemste Weg schnell viele Bilder
  zu sehen war, zu den nach Themen sortierten pages, die
  häufigsten waren Teens, Blacks, obwohl schwarze Frauen
  die posierten selten waren, und Lesbos, die in
  verschiedenen Ausführungen und wechselnder Qualität
  und Zuverlässigkeit auf den Servern diverser Low –
  Profit – Unternehmen, oft Liebhabern, täglich neu zur
  Verfügung gestellt standen, zu surfen. Es waren das
  durchwegs was man als ´harte Pornos´ bezeichnete, mit
  in klassischem Sexoutfit der 90er Jahre gestylten
  Damen, nämlich rasiert und auch die Männerausstattung
  war oft von Haaren befreit, was alles in allem einen
  recht kindlichen Eindruck machte. Mein Interesse
  reichte nämlich bis in die Details, die sich so
  wesentlich offener dem Blick darboten. Die gewagtesten
  Bilder, die noch legal sich aber an der Grenze zum
  Kinderporno bewegten, waren unter den japanischen
  Comix, den Mangas zu finden. Sie waren von der
  Faszination für Schulmädchen gekennzeichnet, die
  manchmal als kaum pubertierende, kleine Mädchen mit
  knospendem Brustansatz dargestellt waren. Die Japaner
  hatten auch gehäuft inzestiöse Themen sowie Erstes –
  Mal – Erzählungen, in denen Lust und Schmerz
  abwechselten. Ihre Vorschauen und kostenlos
  zugänglichen Bilder waren meistens mit kleinen, wenig
  verhüllenden Balken zensiert, die mich störten. Die
  amerikanisch – europäischen hingegen karikierten oft
  bekannte Comixhelden und es gab viele von De Sade
  inspirierte, orgienhafte Erzählungen.
  Ich mochte die Tatsache, dass man, einen
  Internetanschluss vorausgesetzt, umsonst Pornos
  betrachten konnte. Mittlerweile finde ich das
  eigentlich nicht mehr praktisch.
Die Nachbarin
Wenn ich vor dem PC sass und onanierte achtete ich
  zwar darauf, dass mein Unterleib vom Tisch bedeckt
  blieb, trotzdem schien ich von den Nachbarn beobachtet
  zu werden, vor allem der Schatten der Frau blieb mir
  oft lange zugewendet. War da wieder mein Wahn im
  Spiel? 
  Die Situation änderte sich nach dem Besuch mcs. Mcs
  amüsierte sich über meine Wahnvorstellungen. Auch ich
  hielt sie für Angebereien. Wir plauderten bald über
  andere Sachen und tauschten Meinungen aus, welche
  Partei man heute noch wählen könnte. Mcs erzählte von
  einem Test in einer Zeitschrift, der Aufschluss
  versprach, welche Partei einen am meisten ansprach. 
>Bei den Sozialisten hatte ich null Punkte, bei den
  Konservativen einen schmalen Bereich. Die anderen
  Parteien sprachen mich auch nicht an. Wenn man heute
  wirklich etwas anderes wählen will, muss man die KP
  wählen.< sagte M grinsend, seine Züge wirkten, vom
  Alkohol gerötet, infernalisch. Ich grinste zurück. Ich
  fand Politik irrsinnig komisch. Ich sah davon ab zu
  erwähnen, dass die Kommunisten meiner Meinung nach zu
  vorbelastet waren, denn ihre Plakate hatten mir
  gefallen. Ihre Rhetorik des Kampfes war jedoch nicht
  zeitgemäss. Ausserdem wusste ich, dass mein Freund es
  nicht gar so ernst meinte.
>Ich wähle die Kleinsten, das erspart mir die
  Auseinandersetzung mit den politischen Programmen.<
  Sie lachten wieder.
  Dann sagte M, der gerne die grosszügig ausgebauten
  Altbauwohnungen gegenüber betrachtete:
>Du, da steht eine Frau in Unterwäsche am Fenster.<
  Ich sprang auf und sah hinüber. Wirklich stand dort
  meine Nachbarin und hackte sich langsam den BH auf.
  Ihr hell erleuchteter Rücken sah sehr glatt aus und
  wurde von den feinen, silbrig glänzenden Trägern des
  weissen BHs durchzogen. Sie drehte sich um, streifte
  ihn ab und lehnte sich ans Fensterbrett. Sie schaute
  ruhig zu uns her. Es war als ob sie nicht sicher war,
  ob sie sich exhibitionieren sollte, aber ihre Bedenken
  in den Wind schlug. Mein Herz fing wild zu schlagen
  an, auch M schaute andächtig hinüber. Noch nie hatte
  ich sie nackt gesehen, sie hatte kleine Brüste und
  wirkte mit den kurzen Haaren burschikos. Ich machte
  meiner Erregung Luft und sagte begeistert:
>Das sind die Früchte meines Exhibitionismus.< und
  erklärte meinem Freund den möglichen Zusammenhang.
  Nachdem sie einem Weile dort gestanden hatte schlüpfte
  sie in ein Hemd und verschwand. Die Situation war so
  eigenartig gewesen, dass M kurz zweifelte, ob es
  wirklich eine Frau gewesen war, doch ich war mir
  sicher, denn ich kannte sie ja. Wer sollte es sonst
  gewesen sein, die Fenster waren unverkennbar, zwei,
  oder drei, hell und hoch erleuchtet.
  Aber wenigstens waren jetzt meine Befürchtungen
  beschwichtigt. Ich war nicht paranoid gewesen, sondern
  zu freisinnig. Und obwohl solche voyeuristischen
  Szenen oft in meiner Phantasie herumgespuckt waren,
  reagierte ich in Wirklichkeit relativ prüde darauf.
  Ich achtete darauf, bekleidet zu bleiben und nur zu
  onanieren, wenn das Pärchen nicht da war. Bald darauf
  verreiste es für einige Wochen und ich atmete
  erleichtert auf. 
Weitere Situationen, Reflexionen
Trotz allem verstärkte sich mein Eindruck, dass die
  Anderen meine Gedanken hören konnten. Meine
  Gesprächspartner sprachen oft aus, was ich mir gerade
  gedacht hatte, die Menschen auf der Strasse
  wiederholten es, oder fingen plötzlich an, gegen mich
  gerichtete Andeutungen zu machen. Ich bin nicht böse,
  ich bin gut - dachte ich dann, nur brav jeden Ort als
  Tempel, und jedes Wesen als Erleuchtet zu betrachten.
  Man sah, ich hatte schon seit längerem begonnen, auch
  aus Büchern zu lernen und auf die Praxis übertragen zu
  können.
  Einmal zum Beispiel, als ich in der Strassenbahn in
  meinem auf dem Schoss liegenden Buche eine Fussnote
  las, >Oh, eine Fussnote<, dachte ich dabei, nörgelte
  hinter mir eine Stimme:
>Der kann die doch gar nicht lesen, die Schrift ist ja
  viel zu klein.<
  Ich geriet ein wenig durcheinander und konnte mich
  nicht mehr auf den Inhalt des Buches konzentrierten.
  Der Vortrag des Mitlesens war ohnehin nicht leicht
  gewesen. Ich glaube, ich prüfte ein D.H. Lawrence -
  Buch.
>Die Fussnote ist nicht zu klein.<, entgegnete ich im
  Stillen, >Aber es ist schon ein wenig anstrengend.<
  Ich war bemüht, solchen verwirrenden Situationen
  versöhnlich zu begegnen. Solange ich mich von meinem
  Wahn nicht verstören lies, stand ich ihm gleichmütig
  gegenüber. >Ich muss positiv bleiben.<, dachte ich.
>Wie billig, sowas zu denken<, - gleichzeitig, denn im
  Diskurs war es verpönt, das Wort positiv.
Trotzdem mochte ich den Gedanken nicht, dass die
  anderen meine Gedanken zerpflücken konnten. >Gedanken
  sind doch frei!<, rief ich innerlich. Aber wenn er das
  gegenteilige Gefühl hatte, dann war es doch hilfreich,
  ein heiteres aufgeräumtes Gemüt zu haben. Dieses
  zumindest war ich auf dem Weg, immer weiter zu
  vervollkommnen. Und hatte ich nicht selbst geprahlt,
  oder war es erst danach, dass es mir egal seie, ob
  meine Gedanken frei sind, solange es mein Restkörper
  war?
  Das war nicht immer so gewesen. Ich hatte jedoch im
  Laufe der Studien und des Älterwerdens (gab es da
  einen Unterschied?) erfahren, dass Ressentiment zu
  nichts gut ist. Rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes
  Handeln, rechter Lebenserwerb war der Leitspruch der
  Zenisten. Es war die Frage einer amoralischen Pietät,
  weiss nicht woher das Wort, klingt wie Deleuze und der
  De Sade - Erotomane, da angeblich die sogenannten
  moralischen Angebote insgesamt in Verruf geraten
  waren. Heutzutage war man Eklektiker und pickte sich
  heraus, was einem gefiel.
  Das Ressentiment war eine bösartige Wucherung. Die
  Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hatte es
  hinausgeschrien, hinausgeschrieben und war doch so
  schüchtern gewesen, dass ihre Stimme bei ihrem ersten
öffentlichen Vortrag versagte und sie einen
  Nervenzusammenbruch erlitt. Letztlich half nichts
  gegen ihre Selbstzerstörung. Gegen Ende war ihre
  Medikamentensucht so fortgeschritten gewesen, dass
  ihre unempfindlich gewordene Haut selbst Brandflecken
  von Zigaretten aushielt. Fünf Prozent Heilungschance,
  hatte man ihr gesagt. Wenige Monate später war sie
  tot. Bachmann hatte den ehemaligen Emigranten Robert
  Musil in einem Hörspiel zum Leben erweckt und es tat
  mir gut, dessen Stimme zu hören, nachdem er eigentlich
  schon lange tot war. Egal. 
  Selbst Schmerz konnte zur Sucht werden. Als Kind hatte
  ich Nägel gebissen und meine Finger hatten davon
  ständig geschmerzt, doch war dieser Schmerz damals
  etwas anderes als beschrieben gewesen, etwas, das mich
  konzentriert hatte. Es war, als ob ich nicht gewusst
  habe, dass ich mir selbst Schmerzen zufügte. Das
  Warhol:"Hihi, ich wusste nicht um meinen
  Körper"-Dillema.
>Alles vergeben, alles vergessen<, formulierte ich oft
  provokant. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten
  Stein. Es gibt vielleicht Zeiten, die für
“Gedankenverbrechen“ besonders anfällig waren, schien
  es. Warum müssen Gedanken denn frei sein, etwa weil
  das Herz eine Mördergrube war? Nietzsche, ein weiterer
  Todeskandidat, konstatierte seiner Gesellschaft die
  allgemeine Infektion mit Ressentiment, deren Prototyp
  er in den aufstrebenden Antisemiten sah. Die
  Sklavenmoral zeichnete sich dadurch aus, hatte er
  geschrieben, dass sie böse Andere brauchte, um sich
  selbst gut zu fühlen. >Ich fürchte um meine Geduld!<,
  hatte er einem antisemitischen Journalisten
  geschrieben, der ihn belästigte.
  Ich hingegen war immer mehr imstande, alles
  gutzuheissen. Vollständige Bejahung! Das suchten doch
  alle, selbst wenn sie es nicht wussten. Was die
  sogenannte Positivität anbelangte, wusste ich über
  mich ziemlich genau Bescheid, denn ich verglich meinen
  Zustand oft mit den Beschreibungen. Es beschäftigten
  sich doch viele, die wir als Denker zu bezeichnen
  pflegen, damit und es ging sicherlich über das “think
  positiv“ hinaus.
  Die akkuratesten Beschreibungen und Klassifikationen
  des Selbstgefühls fanden sich bei den Asiaten. Dort
  gab es Jahrhunderte alte Traditionen der Vermessung
  der Psyche, ja des ganzen Körpers. Demnach empfand ich
  eine erste tiefe Befriedigung durch die Einsicht, dass
  ich still sein konnte. Dass meine Gedanken nicht so
  wichtig waren, als dass ich mich ständig in ihnen
  verstricken müsste. Es war schliesslich immer eine
  Frage der Achtsamkeit, die Konsequenz, die die
  Voraussetzung für jede Spitzenleistung darstellte.
  Konnte man das erregende Gedüdel seiner Gedanken
  bremsen war man frei für lohnendere Aufgaben. Und auf
  der anderen Seite stand die totale Verstrickung in die
  eigene Geisteswelt, wie sie dem Wahnsinn eignete.
  Natürlich kokettierten die Kreativen immer damit. Ganz
  schön Paradox: Erstens ist der Stillstand ideal,
  zweitens die Verstrickung genial. Genie und Wahnsinn,
  war das nicht immer schon schwierig zu unterscheiden
  gewesen? Mich stiess die Leichtfertigkeit ab, mit der
  man sich auf leichtfertige Spiele mit der eigenen
  Psyche einliess. Ich war in diesem Punkt schon
  genügend beunruhigt. Den faulen Zauber um den Begriff
  Genie fand ich altmodisch, er stammte aus dem 19.
  Jahrhundert, war aber im Gegensatz zu vielen anderen
  Dingen schon veraltet. Ich kannte mindestens fünf
  Definitionen davon und die ansprechendste schien mir
  zu sein, dass es keiner besonderen Fähigkeit bedarf
  ausser, seine Umgebung zu verlassen und sie
  beschreiben zu können. Das konnte ich, und das tat ich
  ja auch.
  Alle Unangepassten sind Agenten eines Versprechens,
  das eine andere Welt verheisst. ich erinnerte mich an
  den Ausruf eines jungen bärtigen Mannes im Trenchcoat,
  der irr die Wartenden angrinsend, er war sichtlich
  berauscht, die U-Bahnstation nahe am Bahnsteigrand,
  die Säulen aussen nehmend, entlanggegangen war: >Die
  Leute schaun aber bös!<. Sehr trocken, sehr heiter -
  verrückt einen Tick. Ich hatte darüber schmunzeln
  müssen, vielleicht, weil auch ich den Mann zunächst
  argwöhnisch beobachtet hatte. Meine genauso irre Miene
  gemeistert habe, um ihn kühl anschaun zu können. Die
  Agenten der Fröhlichkeit waren oft selbst düstere
  Gestalten, als ob sie diese für sich nicht mehr
  erhofften und deswegen bei anderen nach ihr Ausschau
  hielten. >Übung macht den Meister.<, grinste ich
  selbstzufrieden. Mir fiel eine weitere Zengeschichte
  ein, die mir der Tee- und Honigbrotmeister vorgelesen
  hatte.
  Der Meister schreit den verwirrten Schüler an: 
>Geh hinaus!<, und als dieser sich zur Tür wendet: 
>Nein, nicht durch die Tür!<. Der verzweifelte Schüler
  will durchs Fenster. 
>Nein, nicht durch das Fenster! Geh einfach nur
  hinaus!< 
  Der Meister war offensichtlich ein lustiger Kerl. Was
  hätte er ihm auch sonst sagen sollen? >Hör mit dem
  Blödsinn deiner Gedanken, deiner Welterklärung auf?
“Der Name welcher
  gesagt werden kann, ist nicht sein Name. Weil ich
  seinen Namen nicht kenne, nenne ich es Dao.“ 
  Bennennungen waren sowieso nicht sehr hilfreich.
  Wichtiger waren Handlungsanweisungen, waren praktische
  Beispiele und Anregungen, die das Ruder des willigen
  Adepten herumschwenken sollten. Der Meister aus der
  Geschichte hatte offenbar gespührt, dass sein Schüler
  reif war. Er versuchte ihm den letzten Stoss zu
  versetzen, damit er eine Einsicht machen konnte.
Und wo stand ich, fragte ich mich. Zweifellos war
  etwas mit mir im Gange. In letzter Zeit war auch das
  Summen stärker geworden. Früher ist es nur während der
  Meditation aufgetaucht. Seit ich damit aufgehört hatte
  schlich es sich immer öfter in Zeiten der Ruhe ein,
  wenn ich las, im Bett vor dem Einschlafen, beim Warten
  auf den Bus. Meine Haltung hatte sich sichtlich
  verbessert, das schien mir einer der ausschlaggebende
  Gründe zu sein, die gerade Wirbelsäule. Es summte
  immer stärker und öfter in/um mir/mich. 
  Ich fand es jetzt sehr witzig, gewisse Versatzstücke
  aus der Kosmologie der Alten nie begriffen zu haben.
  Seit der Antike stellte man sich vor, die Sterne wären
  auf konzentrischen Himmelssphären festgemacht, die,
  weil sie bei der Bewegung gegeneinander reiben, eine
  Ton verursachten. Die Musik und die Mathematik waren
  von je her verknüpft, das kam von den arithmetischen
  Verhältnissen der Harmonien und ähnlichem und war
  leicht verständlich. Aber warum reiten sie so auf den
  Sphärenklängen herum, die doch kein Mensch hören
  konnte, woher diese Grille? Jetzt, als eigenartiger
  Resonanzkörper, war ich wieder einmal froh, so viele
  Erklärungen, diesmal war es Philosophiegeschichte,
  Wissenschaftsgeschichte, dafür parat zu haben. Der
  Vorteil einer humanistischen Ausbildung. Ich stellte
  mir vor wie es jemanden gehen würde, der von solchen
  Sachen nichts wusste und in die gleiche Situation
  geriet wie ich.
Fallbeispiel MFs Summen
Ich kannte so einen Fall. MF erzählte mir mehr oder
  weniger im Vertrauen, dass er über ein Summen im Ohr
  beunruhigt wäre. Er war bei einem Facharzt gewesen,
  der ihm aber nicht helfen hat können. Das war vor
  meinen eigenen Erfahrungen gewesen und so beunruhigte
  mich die Geschichte des Freundes damals nicht
  persönlich. Kam es nicht allenthalben vor, dass Leuten
  die Ohren sausten? Wenn man einen Schlag auf den Kopf
  bekommt summt es, wenn die Musik zu laut war
  ebenfalls, es gab ein Duzend möglicher Erklärungen
  dafür. Höchstens erinnerte ich mich an den Film
´Arizona Dream´ von Kustorica, dort war ein Kind
  deswegen bei 120 Schulmedizinern gewesen, danach hatte
  es eine Schamanin geheilt, indem sie ihm eine riessige
  Papiertüte ins Ohr gesteckt und eine Zeremonie
  aufgeführt hatte. Oder so ähnlich. Ich erinnerte mich
  vage an eine grosse gelbe Tüte im Ohr eines Kindes auf
  der Strasse. Der Film handelte meiner Meinung nach,
  das heisst, wenn ich gefragt wurde, von Initiationen.
  Aber erst als ich durch die eigenen Erfahrungen
  angeregt nach möglichen Erklärungen suchte, fielen mir
  die alten Geschichten ein. MF war in der Tat, wie ich
  selbst, oft müssig und gab sich seinen Gedanken hin.
  Er hatte schon immer Schriftsteller werden wollen,
  trieb sich jedoch zumeist bei Freunden und auf Parties
  herum. Mehr oder weniger aus Rebellion gegen seinen
  Vater oft, ja gegen die Gesellschaft, hatte er das
  Gymnasium nicht beendet und alle Studien verachtet. 
  Schon bei mir selbst war die glückliche Lage, meinen
  Zustand erklären zu können, oder dies zu glauben, aus
  einer Kette von Zufällen entstanden. Ich interessierte
  mich für derlei Skurillitäten, wohingegen MFs
  Interesse, von der mangelnden humanistischen Bildung
  abgesehen, praktisch - lebensweltlicher Natur war, sie
  zeigte sich in seinem Faible für Bionahrung,
  gesellschaftlichem Umgang und Tagespolitik. Er
  verachtete das trockene Bücherwissen und nannte die
  Intellektuellen, zu denen er trotz allem gehörte,
  falls es sie gab, falls man so einen Begriff
  gebrauchen sollte, gern ´Intellelte´. Diesem Skeptiker
  eröffnete ich nun meine Vermutungen. ich erzählte ihm
  von den langen Traditionen, die die Beschäftigung mit
  solchen Phänomenen, wie dem ominösen Summen,
  hervorgebracht hatte. MF hörte mich schweigsam an. Es
  war nicht seine Art bei allem sogleich nachzufragen,
  sondern Informationen erst einwirken zu lassen und
  sich mit der Zeit ein eigenes Urteil zu bilden.
  Während ich MF über dieses vermeidliche Geheimnis
  vermeindlich aufklärte, kam ich mir vor wie der
  Einäugige, der den Blinden führen wollte. >Ich bin
  doch nicht der König<, dachte ich, >Nicht der Führer,
  der weiss wo es langgeht.< No teacher, maybe preacher?
  Das verlangte aber auch niemand von mir, zum glück,
  nicht mehr, auch das nicht mehr. ich war es doch, der
  sich allen mit meinen kümmerlichen Erkenntnissen
  aufdrängte. Aber wenig später hörte ich, dass MF die
  Prüfungen für die Akademie der bildenden Künste
  abgelegt hatte. Endlich war dieser also auf dem
  ersehnten künstlerischen Weg. ich verbuchte das
  teilweise auf mein Konto, immerhin hatte ich dessen
Ängste betreff des Summens beschwichtigt. Da ich die
  Veranlangung hatte, meinen Einfluss auf die Menschen
überzubewerten (war das nicht auch Teil seines
  Wahns?), fand er diesen Erfolg befriedigend. Es war
  solange in Ordnung wie ich nicht anfing ihnen meinen
  Verdienst vorzuhalten.
Weitere Reflexionen
Die Intellektuellen von Heute, falls es überhaupt
  welche geben sollte, sagen nicht mehr wie wir denken
  und handeln sollen. Das besagten jedenfalls die
  modernsten Theorien, die ich kannte. Sie geben uns
  lediglich Werkzeuge in die Hand, oder zumindest
  Erklärungen, die wir benutzen können oder auch nicht.
  Das wusste ich, denn ich hatte mich gründlich
  umgehört, kannte die zeitgenössische Philosophie, die
  Wissenschaftstheorie, die Grundzüge der Geschichte,
  ich wusste um die Schwierigkeiten der Soziologen, eine
  verbindliche Gesellschaftstheorie zu formulieren, ich
  war vertraut mit den religiösen und spirituellen
  Strömungen, selbst mit der Homöopathie. Auch die
  Literatur war mir nicht fremd.
  Zur Identitätsstiftung gehört immer ein Anderer, der
  man selbst nicht war, auch wenn es nur die Identität
  eines Wahnsinnigen war. Hatte sich Nietzsche nicht zum
  Sehenden erkoren, zum Sehenden in einer Schar Blinder,
  als der Philosoph mit dem Hammer? Bedurfte das
  Arbeiterproletariat nicht der Kapitalisten? Halten die
  entwickelten Länder nicht ihr Ethos den
  Schurkenstaaten und dem Terror entgegen? Was genau war
  die Sklavenmoral? 
  Indessen verschärften sich meine Wahnzustände. Wenn es
  stimmt, dass sich die Gesellschaft in einem Zustand
  permanenter Selbstverunsicherung befand, dann leistete
  seine Psyche hervorragende Arbeit. Wenn ich unter
  Menschen war, befand ich mich also nun in ständiger
  Unruhe, einer anderen Unruhe als früher, gepeinigt von
  dem Gefühl, von ungewollten Zuhörern meiner Gedanken
  umgeben zu sein. 
  Ich musste sich bemühen, in seinen Mitmenschen nicht
  Eindringlinge in meine Gedankenwelt zu sehen sondern
  Gäste. Dazu bedurfte es in meinem Zustand allerdings
  des kleinen Tricks, sich der eigenen Gedanken nicht zu
  schämen und keine negativen Gedanken zu haben. Aber
  das war leichter gesagt als getan, wenn auch kein Ding
  der Unmöglichkeit sagte der Zen: >Einen bösen Gedanken
  zu haben ist Krankheit, ihm nicht weiter zu verfolgen
  die Heilung.< - Das stimmte. Und in seinen krankhaften
  Zustand stimmte es doppelt.
Arbeitskollegen
Als ich eines Tages in der Firma angekam, in der ich
  einer unqualifizierten Arbeit nachging, sah ich schon
  von weitem meinen hauptsächlichen Kollegen MK, mit
  einer Kollegin im Gespräch. Diese hatte ich erst
  einige Male flüchtig gesehen, doch MK hatte mir schon
  oft von ihr vorgeschwärmt. Sicherlich war sie eine
  sehr schöne Frau, fand ich jetzt, wie sie
  hochgewachsen und schlank vor MK stand, der sichtlich
  angeregt mit ihr plauderte. Doch kaum hatte ich sie
  gesehen war ein Urteil gefällt. >Was soll denn diese
  Dauerwelle?<, dachte ich . Ihr Haar fiel in kleinen
  künstlichen Wellen steif und glänzend hinab. Ich
  mochte das nicht, es erschien mir gar zu künstlich.
  Sie hatte das nicht nötig. Oder besser gesagt, mir
  gefiel die Harmonie nicht.
  Mit einem Mal wirkten die beiden verstört. Indessen
  begann ich meine Arbeit, auch ich war angespannt. 
>Das sind doch nur Haare! Nur Haare!< schrie sie
  plötzlich MK an, mit dem sie gerade noch gescherzt
  hatte, und hielt ihm ihren Schopf, eine Strähne in der
  Hand, vors Gesicht. Dieser wirkte verduzt. Sie
  sprachen einige Worte die ich nicht verstand und dann
  hörte ich MK mit lauter Stimme sagen, dabei
  seltsamerweise mich anblickend: 
>Ich bin nicht eingeraucht!< - mit Nachdruck.
>Ich auch nicht<, erwiderte ich in Gedanken für sich,
>Nur müde, unendlich müde.< 
  Tatsächlich war ich übernächtigt und das verstärkte
  jedes Mal meinen milden Wahn. Die Situation
  normalisierte sich bereits, die beiden sprachen wieder
über Geschäftliches. Dennoch atmete ich erleichtert
  auf, als sie ging. Ich sprach mit meinem Kollegen
  nicht weiter darüber, es war wie eine stillschweigende
  Abmachung, über unerklärliche Ereignisse einen Mantel
  des Schweigens auszubreiten. Nichts wäre einfacher
  gewesen als MK zu fragen, was die Kollegin denn so
  plötzlich mit ihrem Haar gehabt hatte. Vielleicht gab
  es ja eine ganz plausible Erklärung dafür. Jedoch war
  die Situation so merkwürdig gewesen, hatten alle
  dermassen wie Verschwörer gewirkt, dass es mir vor dem
  Gedanken, darüber noch ein weiteres Wort zu verlieren
  schauderte. Er wollte einfach nicht weiter darüber
  sprechen. Es gelang mir sogar, ihrer beider
  angespannte Stimmung zu verscheuchen, indem ich
  aufgeräumt einen Scherz machte. Irgendetwas über sie
  und ihn, wer mehr Freizeit wo zu verbringen hätte. Aus
  MKs misstrauischem Gesicht verschwanden die
  Sorgenfalten. Nein, ich wirkte durchaus nicht unter
  Drogeneinwirkung. Doch innerlich zitterte ich noch
  immer leicht, Gefühl schlugen mitunter in
  Sekundenschnell um oder intensivierten sich dermassen,
  dass sie wie körperlichen Formen der Interaktion
  wirkten, aufwühlend. Ich schob mein merkwürdiges
  Verhalten (hatte ich sich merkwürdig verhalten?
  Sicherlich war ich nicht besonders kommunikativ
  gewesen, hatte mich am Rand auf- und rausgehalten.)
  auf meine Schüchternheit. 
  Der Trick um sich nicht aufzuregen bestand für mich
  auch darin, sich als normale Psyche zu sehen, obwohl
  ich vermeidlich aussergewöhnliche Situationen erlebte.
>Eitelkeit, alles meine Eitelkeit!< beschwor ich mich,
  wenn seine Gedanken wieder einmal nicht der Situation
  entsprachen. Ich kam durch Selbstbeobachtung dahinter,
  dass ich in so einem Fall mich oder andere in den
  Schmutz zog, oder sie verurteilte, so wie die
  Dauerwelle, und zwar ohne Humor. Wenn das eintrat,
  bestand die erste Herangehensweise darin, es zu einem
  Scherz umzubiegen. Das war leichter als die Sache ganz
  abzutun, denn meistens handelten diese dummen Gedanken
  von dem gerade ablaufenden Ereignis, das ja weiterhin
  stattfand, ob man nun wollte oder nicht. Am besten
  gelang mir gleich eine Entschuldigung, die, ohne einer
  genaueren Adresse zu bedürfen, an die Welt im
  allgemeinen gerichtet war. >Sorry Jungs und Mädels!<,
  oder so. Das ergab sich jedoch selten, als ob in mir
  doch, und doch noch, ein Widerstand gegen derlei
  Zugeständnisse tätig wäre.
  Doch diese Form des ´Coping´ eignete sich nur post –
  festum, wenn die Sache schon vermasselt war. Ich
  wusste nicht, wie ich die Gedanken von vornherein
  verhindern konnte. Ausserdem war dabei schon
  angenommen, dass ich es überhaupt mit Humor nehmen
  konnte.
  Die Dauerwelle war aber ein ernster Fall. Ich
  versuchte es also mit Scherzen: >Bist eh ein nettes
  Mädel.<, dachte ich ihr zu und: >Sie ist eigentlich
  eine ganz schön coole Frau.< Er fühlte mich immer
  besser. Sie war ohnehin wunderschön, es fiel mir nicht
  schwer, Komplimente zu finden. So gelangte er
  schliesslich dazu, alles nicht so ernst zu nehmen. War
  die erste Formulierung noch spontan und unausgegoren,
  wirkte die zweite vollständiger, neutraler. Das war
  wie in der Wissenschaft, wo sich allein durch eine
  speziellere, verbindlichere Formulierung der
  Wahrheitsgehalt eines vagen Sachverhaltes erhärten
  konnte. Erste Aussage: A wurde wahrscheinlich durch
  Maschine X gemessen und produziert vielleicht B.
  Zweite Aussage: A bewirkt B. Punkt. Viele
  Zwischenschritte. Nun, vielleicht war es nicht ganz so
  einfach.
  Ich hatte mir angewöhnt, im Stillen immer dann
  wohlwollende Bemerkungen zu machen, wenn eine
  Situation anfing, unangenehm zu werden. In
  Diskussionen pflegte ich solcherart dem letzten Satz,
  den ich eben ausgesprochen hatte noch weitere
  Erläuterungen im Stillen nachzuschicken, die meistens
  der Entspannung der Lage dienten, oder weitere
  Konnotationen des Gemeinten erhellten.
  Jedenfalls war diese Objektivität nötig, weil ich über
  einen möglichen Sexualpartner geurteilt hatte. Ich war
  befangen gewesen und es konnte auch nicht
  ausgeschlossen werden, dass mein Verhalten sowohl
  Vorsichtsmassnahme als auch Abwehr bedeutete, oder
  anbandeln.
Weitere Reflexionen, Mantras
Ich hatte meine Gedanken gründlich satt. Nach dieser
  Fortsetzung meines Wahns machte ich mir die intuitive
  Weise der Zerstreuung stärker bewusst, die darin
  bestand, sinnloses Zeug zu trällern, Liedchen zu
  pfeifen und ähnliches. ich brauchte mich nur auf das
  Formulieren harmloser oder zusammenhangloser Wörter zu
  konzentrieren, durch einfache Reime und
  Wiederholungen, diese zu einer Art Mantras zu machen,
  und auch dabei zu bleiben. So reisst man sich leicht
  von unnötigen Gedanken los, zerstreut sich und sammelt
  Kräfte. Ich war mit Theorie und Praxis von Mantras
  nicht gut vertraut, am ehesten noch kannte ich mich
  mit den Koans des Zen aus, unzählige kannte ich, ihre
  Struktur und die Bedeutung der Kunst im Buddhismus.
  Jedoch stellte ich mir das auch nicht anders als das
  mir wohlvertraute Zählen der Atemzüge vor, und zwar
  als eine Form der Konzentration.
[evtl. Geschichte von Bauer und Mantra einfügen]
Weiter Vron
An diesem Abend piepste mein Fernsprecher, eines der
  seltenen SMS war eingetroffen, von meiner lieben
  Freundin, die in Berlin für einige Semester Fuss
  gefasst hatte und mir auf diesem Weg ihre neue
  Telephonnummer mitteilte. Zufall oder nicht, ich hatte
  an dem Tag viel über sie nachgedacht, darüber, dass
  sie sich schon lange nicht gemeldet hatte.
  Nachdem ich lange nachgedacht hatte, was ich ihr
  schreiben solle antwortete ich am nächsten Tag: “Geht
  gut, ja? Alles Liebe!“ Obwohl sie einander sehr
  mochten, hatte ich immer den Eindruck, dass sie sich
  ausser Alltäglichkeiten nichts mitzuteilen hatten. Und
  Kunst. Aber schaffte nicht gerade Belangloses ein
  Gefühl der Verbundenheit? Ansonsten unterschied sich
  meine eigenbrötlerische Existenz allzu sehr von ihrem
  aktiver gesellschaftsbezogenen Leben. Dennoch
  verbrachten wir öfters schöne Zeiten miteinander. Nur
  unser Briefverkehr schleppte sich mühsam dahin und war
  von monatelangen Unterbrechungen gekennzeichnet.
  Trotzdem hatte ich den Tag über nachgedacht, warum sie
  sich schon so lange dagegen wehrte, mit mir per email
  zu kommunizieren. Teilweise wusste ich schon den
  Grund, unser Verkehr hatte einen besonders
  vertraulichen Charakter. Wenn wir uns schrieben war
  das oft eine Form von Liebesbriefen, die eben nach
  altertümlicheren Methoden verlangten, einmal waren es
  tatsächlich Liebesbriefe gewesen, und obwohl wir schon
  lange nicht mehr zusammen waren bestand ein enges Band
  zwischen uns weiter.
  Darüber sann ich im Bett liegend nach, als das SMS
  abgeschickt war. Ich strich sanft über die Seiten des
  Buches, das ich gerade las, es war Musils ´Mann ohne
  Eigenschaften´ Teil zwei, dessen druckfrischer Duft
  die schier endlose Folge von Geruchseindrücken neuer
  Bücher fortsetzte, die ich jemals gelesen hatte. 
  Ich sinnierte auch darüber, das das SMS wieder so eine
  Koinzidenz war. Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass V
  sich gemeldet hatte, das hätte sie früher oder später
  sowieso getan, aber warum war das SMS gerade an dem
  Tag angekommen, an welchen ich über sie besonders viel
  nachgedacht hatte? Es war wie so oft eine kleine
  Sehnsucht. Ich dachte nämlich keineswegs jeden Tag an
  sie, weil wenn das der Fall wäre, hätte man nicht von
  einem aussergewöhnlichen Ereignis sprechen können. 
  Denn oft scheint uns etwas zufällig zusammenzutreffen,
  das sich beim näheren Besehen als unaufhörlich
  angestrebt entpuppt. So lenken wir oft unsere Schritte
  wie unbewusst in die Nähe dessen, dem wir begegnen
  wollen und sind dennoch bei einem tatsächlichen
  Treffen erstaunt, was der Zufall scheinbar alles
  vermag. 
  Aber dem war nicht so. Meiner geübten Aufmerksamkeit
  wäre es mitunter nicht entgangen, wenn ich an V auch
  in letzter Zeit gedacht hätte. Aber gerade an dem Tag
  war eine spielerische Einsamkeit in mir gewesen und
  ich hatte mir vorgestellt, wie es wohl wäre mit V zu
  leben. “Du weißt doch, dass wir zusammengehören.“,
  dachte ich jetzt. Viele Freunde die uns zusammen sahen
  meinten, dass wir Geschwister wären und wir scherzten
  auch selbst über unsere ´Geschwisterliebe´.
  Ja, das war es am ehesten: Die Vertraulichkeit einer
  Verwandtschaft. Aber rechtfertigte die Innigkeit der
  Bindung diese weitere Koinzidenz, dass sie mir schrieb
  als ich an sie dachte? So fragte ich mich und meine
  Hand ruhte auf dem Buch, dass eine andere
  Geschwisterliebe erzählte, von Ulrich und Agathe
  (hiess das nicht ´Die Gute´?). Doch war diese
  Verbindung von vornherein auf den >Anderen Zustand<,
  angelegt, was immer das war, das Orginalzitat, und die
  Geschwister strebten auf eine Art Befreiung vom
  Urteilen. Ich hatte es erneut zur Hand genommen,
  nachdem mir ein Freund vom ´esoterischen´ Gehalt des
  zweiten Bandes erzählt hatte. Schliesslich war das
  auch meine Freizeit - Forschungsrichtung. Aber bei mir
  und V war ich mir nicht so sicher, was den anderen
  Zustand anbelangte. In V waltete uneingeschränkt das
  Ressentiment, mit dem so frauenhaften Gefühl der zu
  kurz Gekommenen, vom Leben zum benachteiligten
  Geschlecht Geschlagenen in einer gefühlvollen
  Intensität, die sie sehr beherrscht, gehemmt,
  handhabte. Shaken auf ienr Tanzfläche konnte sie.
  Zustand, das war allerdings nur Spekulation, denn im
  Grunde waren wir uns ähnlich in unserer oft
  melancholisch gefärbten Passivität aus der wir durch
  andere herausgerissen werden wollten, wie der Jack
  Keruac in ´On the Road´ vom Elan eines Dean Moriarty,
  den Draufgänger. Aber was war eigentlich mit dem
  dunklen, feuerroten Maelstrom, in dem V sich einst
  hineingezogen gefühlt hatte, wie sie ihm erzählt hat,
  und von dem ein von ihr gemaltes Bild in ihrem Zimmer
  hing? Ein Strudel aus dicken, schwarzroten Streifen,
  die sich in des Zentrum reindrehten; künstlerisches
  Spiel?
Musil
Und warum sollte ich mich, sollte ich uns, in Ulrich
  und Agathe, dem ´guten´ Paar und nicht in Walter und
  Clarisse wiedererkennen, dem ´schlechten´ Paar?
  Schliesslich war es Clarisse, die alles auf sich bezog
  und mit der Zeit wahnsinnig wird. Zumindest in Musils
  Entwürfen für den dritten Teil. Mit Ulrich verband
  mich nur die Mischung aus Technikinteresse, Sinnbild
  einer neuen Zeit, und was man gemeinhin eine
  humanistische Bildung nannte, und, am wichtigsten,
  vage Ambitionen für etwas, das der Si-Fi Autor Neal
  Stephenson ein “interessantes Leben“ genannt hat. Im
  Stillen nannte ich mich scherzhaft Mann ohne
  Gedächtnis. Immerhin waren Probleme mit dem Gedächtnis
  eine Spezialität der französischen
  Gegenwartsphilosophie. Und es gefiel mir jedenfalls
  besser als Kaurismäkis Titel, Mann ohne Vergangenheit.
  Was Musil so interessant für ihn machte war nicht nur
  die Bestandsaufnahme des esoterischen
  Erleuchtungswahns, sondern auch der seltene Versuch,
  an das Thema aus der Perspektive beider Geschlechter
  gleichzeitig heranzugehen. Ulrich und Agathe waren die
  beiden guten Protagonisten, denen die Freiheit, die
  Erleuchtung, mehr oder weniger zufällig passierte und
  die trotz mancherlei Schwierigkeiten nicht von den
  merkwürdigen Koinzidenzen und Wahnsinnigkeiten, die
  mir (Clarisse) so zu schaffen machten, geplagt wurden.
  Die Fragen die die Protagonisten umtrieb waren
  folgende: Kann man die Erleuchtung erlangen? Dauert
  der Zustand und was passiert dabei? Wie geht es danach
  weiter? Und neben diesem beinahe idealen Paar
  beschrieb Musil gleichsam als Gegenstück Walter, den
  gescheiterten Künstler und Clarisse, die prüde,
  ambitionierte Gesellschaftsdame, beiden war der
  göttliche Wahn nicht zuteil geworden, obwohl sie ihn
  ersehnten. Daraus entsteht bei ihr die krankhafte
  Neigung sich im Mittelpunkt des Geschehens zu
  vermeinen und ständig auf sie bezogene Zeichen
  erkennen zu glauben, Illusionen also, die in
  abgemilderter Form jeder einmal erlebte und die ich
  selbst so gut kannte. die Beschreibung ähnelte sogar
  frappant meinem Wahn, wenn z.B. beim Besuch des
  Serienmörders Moosbrugger die übrigen Irren Clarisse
  scheinbar als eine der ihren erkennen und sie
  respektlos anredeten, also die Zufälle nicht nur in
  ihrem Kopf sind, sondern es sogar zu realen
  Situationen kommt. Sympathisierten nicht sogar die
  Clochards mit mir? Und den Wahsinnigen unter ihnen
  konnte ich noch allemal zeigen, wie wahnsinnig ich zu
  scherzen imstande bin.
  Dieses ergänzende Resümee war bitter, befand ich,
  obwohl es eigentlich nicht neu für mich war. Musil
  hatte seinen Charakter Clarisse unbarmherzig auf den
  unwiderruflichen Weg des Wahnsinns hin angelegt. Bei
  mir selbst war ich dessen nicht so sicher. Jedenfalls
  war es unfruchtbar sich mit dem schlechten Paar zu
  vergleichen. Denn es waren Ulrich und Agathe die fast
  systematisch die Erforschung des anderen Zustands
  betrieben, sogar Meister Eckhart wurde dabei
  ausgegraben, und sie versuchten die Gleichartigkeit
  der Erfahrungen, wenn nicht gar der Geschwister, unter
  dem Deckmantel verschiedener kultureller Praktiken
  aufzudecken.
  Dummer europäischer Zwang, das Thema auf gleichsam
  naturwissenschaftlichem Weg erforschen zu wollen,
  beurteilte er Musil milde, irgendwie a la
  Wittgenstein. Immerhin war zu deren Zeit der logische
  Positivismus eines Wiener Kreises gerade im Entstehen,
  die Wissenschaften waren im Aufstieg und vor jeder
  gröberen Enttäuschung, wie sic hherausstellen wird, es
  waren noch keine Atombomben gefallen. Das Buch war in
  einer Zeit erschienen, die andere Probleme kannte.
  Aber was Musils Held den alten Quellen vorwarf, dass
  sie den anderen Zustand nur propagierten und diesen
  lediglich innerhalb ihres religiösen Systems mit
  prmitiven Vergleichen, etwa dass sie Gott begegnet
  wären, beschrieben (wie Höhnt auch Castanedas Don Juan
über die enermessliche Erfahrung des menschlichen
  Prägestocks) , konnte man das auch ihm selbst
  vorwerfen. Im besten Fall beschrieb Musil den
  angestrebten Zustand gar nicht, oder beschränkte sich
  auf wenige Andeutungen, dass man sich “Jenseits von
  Gut und Böse“ fühlte. Das war jedoch verständlich.
  Ulrich und Agathe waren wie zwei Adepten, die an die
  geheime Trickkiste des Meisters gehen wollten. Das war
  auch der springende Punkt, sie waren auf sich selbst
  angewiesen und standen erst am Anfang. “Übe niemals
  allein.“ – das musste Musil trotzdem irgendwie
  eingeleuchtet haben, das Geschwisterpaar war wie die
  Urzelle einer spirituellen Freundschaft. Als Autorität
  hatten sie nur die Aufzeichnungen der Alten und den
  erotischen Faden, mehr als dünn, langgestreckt,
  windend. Um allerdings Wissen aus Büchern zu gewinnen,
  musste man erst viele Praxisgemeinschaften
  durchlaufen, viel Erfahrung haben, das wusste ich noch
  immer. In diesem Lichte war Musil ein Theoretiker,
  allerdings einer, der wie ein Komet vor einem
  nichtssagenden Sternenhimmel seine Bahn zog, um einen
  philosophiegeschichtlichen Begriff von Deleuze, auf
  die italienische Philophensituation gemünzt, zu
  entlehnen, ein Einsamer in der gesellschaftlichen
  Wüste, die verbrannt und verwüstet von sozialer,
  politischer und wirtschaftlicher Agitation war. Er
  hatte sein gesamtes Vermögen während der
  Wirtschaftskrise verloren und seine literarische
  Arbeit wurde vom Kreis der ´Freunde des Mannes ohne
  Eigenschaften´ unterstützt, bis diese, grösstenteils
  Juden, vor den Nazis in Deutschland flüchten mussten.
  So viele waren während des Krieges gestorben, Virginia
  Woolf, Stefan Zweig, und auch Musil. Ich fragte mich,
  ob eine Fortsetzung des grossen Romans sinnvoll
  gewesen wäre, und nahm mir zu diesem Zweck vor, den
  Nachlass genauer zu studieren. Es gab noch ein Buch
  das ich besass, aber noch nicht reingeschaut habe:
>Lesebuch. Versuche, einen Menschen zu finden.<. Naja,
  kommt Zeit übt Rat.
  Aber hatte ich mehr als nur Bücher? Da war mein
  spiritueller Freund und Meister des Tees, der Milch-,
  der Honigbrotmeister des Taichi, mit dem ich üben und
  diskutieren konnte. Da war die Zen - Gemeinschaft am
  Fleischmarkt die jeden Sonntag
  Einführungsveranstaltungen abhielt, mit Sitz- und
  Gehmeditation (Kinhin?), und Essen, für einen Obulus.
  Ich war tatsächlich besser dran als die alten Meister,
  es gab mehr Angebote, nicht nur von entsprechenden
  Büchern sondern fast aller Praktiken, angefangen mit
  Yoga, verschiedenster Kampfkünste und anderer
  Bewegungsarten, über die vielen Spielarten des Zen bis
  zu allen Arten mehr oder weniger gefragter
  esoterischer Schulen, Freimaurer und Rosenkreuzer. Die
  Zeit war eine andere, nicht nur für die
  Wissenschaften. Mich sprach der Zen die meiste Zeit
  an, weil dort die Beschreibung von Musils ´anderem
  Zustand´, falls es den überhaupt gab, zumeinst mit
  Naturmetaphern geleistet wurde und ohne
  Gottesvorstellung auskam. Auch gab es schöne,
  unzählige Einteilungen der Erkenntnisstufen, was immer
  eine heikle Sache ist, weil es dazu verführte, sich
  darauf allzu sehr zu fixieren, vor allem die
  Einsichtsmeditation (Vipassana) und die Tibeter
  leisteten hierbei erstaunliches. Doch war jede
  Einteilung eben nur ein Hilfsmittel. Ihm persönlich
  reichte das castanedische Schema der vier Feinde
  Angst, Klarheit, Macht und Tod, das sogar Eingang in
  die moderne Philosophie gefunden hatte. Mit einem
  dermassen einfachen Schema verlor man nicht die
  Dimensionen aus den Augen.
  Ich wusste, was die ´zivilisierte Welt´ am Buddhism,
  genauer gesagt, bei mir, am Zen, hatte. Ein Werkzeug.
  Nichts weiter als ein Tool, das man am geeigneten
  Objekt, sagen wir dem Herz-Geist-Körper, ansetzen
  konnte. Im Grunde war es so einfach wie der
  pythagoreische Lehrsatz. Wenn zwei Seiten eines
  rechtwinkeligen Dreiecks gegeben waren, konnte man
  sich die dritte ausrechnen. Vorausgesetzt natürlich,
  man konnte rechnen und war nicht zu faul dazu.
  Pythagoras war unter anderem ein Mystiker gewesen, der
  eine esoterische Sekte geleitet hatte, jedenfalls nach
  Meinung hs. Aber das war ein anderes Kapitel, obwohl
  mir der Zusammenhang zwischen Mathematik und Mystik
  gefiel. Es war wie bei Musil. ich habe sowas nie
  verstanden.
  Ich errechnete also aus einer anderen Formel: Gegeben
  meine Psyche und meinen Körper folgten mit Hilfe des
  Zen Aufschlüsse über meine affektiven Anhaftungen.
  Aber an den Affekten, eigentlich auch an den
  verschiedenen Gefühlen war im Grunde nichts
  auszusetzen, auch nicht an den negativen. Man musste
  mit ihnen umgehen lernen, genauso wie man mit den
  Beinen lernen muss zu gehen, wie man sprechen und
  rechnen lernt. Es ist nichts falsch mit unserem
  Körper, durchfuhr es mich plötzlich heiss, der Gedanke
  hatte einen Affekt ausgelöst und das Blut schoss in
  meinen Kopf. “Halt!“ wollte ich meinen Mitmenschen
  nach Art von Prentice Mulford zurufen, lasst alles
  liegen und stehen und ´geniesst´ das Leben. Natürlich
  darf man niemandem etwas befehlen, und ausserdem wäre
  ich mir als >Moralapostel inspiré< in Wirklichkeit
  ziemlich lächerlich vorgekommen. Und schliesslich ging
  ich ja auch nicht mitten in der Arbeit weg oder hielt
  getroffene Vereinbarungen und Verabredungen nicht ein.
  Meine Gedanken waren noch viel zu unklar, eigentlich
  war ich noch gar nicht aus dem Erstaunen
  herausgekommen, was alles mit mir geschah. Warum
  tauchte, neben den Erkenntnissen die mich glücklich
  machten, relativ Glückselig, variierte ich eine der
  gelesenen Erkenntnisstufen im Geiste, ein im Grunde
  miserabler Zustand, denn er war verführerisch, aber
  einer, musste also, leider!, wieder verlassen werden,
  dieser andere Kram auf, das Summen, die Stimmen, diese
  ganze so einseitige eselartige Pseudo - Telepathie.
  Natürlich, ich war zu schwach, aber das durfte ich
  nicht akzeptieren, weil dann war das Spiel gelaufen
  und ich hatte nicht viele andere.
Weiter Freundin V
So lag ich weiter müssig auf dem Bett herum, nachdem
  mir diese Gedanken durch den Kopf gezogen waren und
  wünschte mir noch eine Nachricht von V, wartete
  richtiggehend darauf. Und tatsächlich: “Piep piep“,
  meldete sich das Telephon, das ich auf das
  aufgeschlagene Buch gelegt hatte, es war wirklich eine
  weitere Nachricht von V angekommen: “Gib mir deine
  @-Adresse, falls es Sinn macht, bussi V.“ Es war zum
  verrückt werden. Nicht nur war mein unmittelbarer
  Wunsch in Erfüllung gegangen, es war auch, als ob sie
  meine Gedanken über den möglichen email - Verkehr,
  eine Abwandlung der Kafka-Liebesmethode, mit mir,
  geahnt hätte. Trotzdem lief sogleich die
  Rationalisierung an: Sie hat vergessen, beim ersten
  SMS danach zu fragen. Da sie jetzt im Ausland ist, und
  nicht nur im Ausbundesland, will sie mir eben per
  email schreiben. Was spielte es für eine Rolle, dass
  ich mir das erst Tags zuvor gewünscht hatte, genauso
  wie ich mir gerade eben gewunschen hatte, dass sie mir
  noch einmal schreiben solle? Wäre es nicht
  eingetroffen, hätte ich meine Wünsche, es gab ja hie
  und da welche, längst vergessen, durch andere ersetzt.
  Aber war das alles?
Ereignis V und I
Plötzlich fiel mir ein, dass schon vor zirca einem
  Monat eine dieser merkwürdigen Koinzidenzen mit V
  passiert war, die sich für mich sogar viel konkreter
  ausgewirkt, ja sogar meine Handlungen beeinflusst
  hatte. (Nichts, nichts war passiert! Dennoch: ) ich
  hatte damals eine Nachricht von I bekommen, des
  Inhalts, dass sie in ein paar Tagen in der Stadt sein
  würde. Ich war darüber sehr erfreut gewesen, denn ich
  begehrte sie sehr und hatte sie so früh nicht
  erwartet. Während ich an demselben Abend auf die
  Strassenbahn wartete, war ich ganz in mein Glück
  vertieft. “Ich will mit dir wohnen“, dachte ich, “mit
  dir leben, dich lieben.“, ganz irreal, es waren reine
  Tagträumereien, in Wirklichkeit kam sie nur für ganz
  kurze Zeit. Aber hatte sie mir nicht sogar ein
  verhülltes Angebot gemacht? Das Telefon riss mich aus
  diesen Träumereien, es war V. 
“Halihalo, wie geht’s denn so?“, jubelte ich direkt in
  das Sprechteil. Ich freute mich dass sie anrief, ich
  freute mich überhaupt sehr. Alles war wunderbar. Doch
  was war das für ein jammervoller Ton am anderen Ende
  der Leitung, der: 
“Geht so ..“, sagte? Wenn V sich beklagte schien ihre
  Stimme tief aus der Kehle zu kommen und hörte sich
  quäckend an. Aus einem undefinierbaren Grund liebte
  ich es, wenn sie so sprach, vielleicht erinnerte es
  mich an mich selbst, so hatte ich mich wahrscheinlich
  die längste Zeit meiner Jugend angehört, als ich
  unbewusst allzuviel beklagte. Vielleicht weckte es
  auch einen Beschützerinstinkt in mir, jedes Mal wollte
  ich sie dann in die Arme nehmen und ihr diese
  einfachste aller gesellschaftlichen Formeln
  zuflüstern: “Ist ja alles gut. Ich bin ja da.“ 
  - “Aber, aber, was ist denn?“, fragte ich stattdessen
  noch immer gut gelaunt. 
“Weißt du, ich habe mir überlegt, was für eine ideale
  Beziehung wir gehabt haben, und vielleicht sollten wir
  es wieder versuchen?“ – 
  Sie kam immer sofort auf den Punkt, wenn sie sich
  einmal ein Herz gefasst hatte. Ich hörte auch den
  Alkohol dahinter. 
“Also das erstaunt mich jetzt gar nicht, dass du so
  was sagst.“ - es stimmte, sie waren wirklich ein
  ideales Paar gewesen, und tatsächlich war ich nicht
  erstaunt über ihre Eröffnung. Vieles hatte in letzter
  Zeit darauf hingedeutet, dass einer von uns mal wieder
  den anderen einlädt, auch ihre permanenten Beschwerden
über ihre jetzige Beziehung. Und ich hatte es nicht
  hören wollen, weil ich nur an I denken konnte. 
“Jaa....?“ – 
“Torschlusspanik, was V?“ – 
“Jetzt wirst du gemein.“
  Ihr Tonfall erlahmte gänzlich. So fragte ich sie aus
  und es gelang mir sie aufzuheitern, ohne sich
  festlegen zu müssen, ob das eine geschlossene
  Beziehung sein müsste, sie ahnte mein geteiltes
  Interesse. Ich war eben ein Idiot, die Chancen
  zerronnen unter meinen Händen wie dem Idioten aus
  Dostojewskis gleichnamigen Roman, weil ich mich nicht
  entscheiden wollte, Fürst Myschkin, den Keine richtig
  wollte, den aber jede unter Umständen genommen hätte.
  Beide oder keine. Doch ich liebte V, hatte nie
  aufgehört sie zu lieben. Ich blieb heiter, die
  Strassenbahn kam lange nicht und wir plauderten viel
  und zum Schluss beteuerten wir uns unserer
  gegenseitigen Liebe, selbstverständlich ganz
  unverbindlich. Was wir uns mit Wörtern nicht alles
  trauen, dachte ich, die Realisation hingegen war etwas
  ganz anderes.
  Ich wusste, das würde dann alles noch einmal gemacht
  werden müssen, die Versprechungen waren für die Katz,
  solange wir uns nicht sahen. Wenn wir uns das nächste
  Mal treffen würden, würden wir uns ein Küsschen geben
  und so tun, als ob nichts ist. Nur würde ich mich dann
  nicht einmal mehr trauen sie bei der Hand zu nehmen
  wie so oft. Die Wörter bewirkten bei uns das Gegenteil
  ihrer Absicht, sie entfernten uns voneinander. Sie
  würde sich erst bei mir einhacken müssen, unter
  Umständen. Ich kam mir wieder wie ein Meisterredner
  vor, ich konnte einfach alles zerreden. Da fuhr ich
  nun nach Hause und wiegte mich noch in einem
  scheinbaren Erfolg. Ich wurde geliebt, begehrt,
  gebraucht. Doch die Koinzidenz war unübersehbar. Noch
  nie hatte ich mich nämlich so festgelegt wie eben vor
  dem Telefonat, wenn auch in Gedanken, ich hatte mit I
  gerade leben wollen, es war keine Spekulation gewesen,
  sondern ein starker Wunsch, wenn auch vielleicht nur
  ein Traum, wie man eben träumt, vor dem Fernseher
  etwa. So weit war ich noch nie gegangen, wenn es auch
  nur in Gedanken und narrenhaft war. Und gerade dann
  musste V anrufen und mich an sich erinnern, das war
  der blödsinnigste Zufall! Drehte sich mein Leben immer
  nur um diese zwei Frauen, die sich scheinbar andauernd
  im Weg standen, was mich betraf? Die Konsequenzen
  dieses Gesprächs zeigten sich schon eine Woche später.
I
Das Wiedersehen mit I mündete vorerst in lauter kleine
  Vorgeplänkel. Ich wollte nichts von ihrem Typen aus
  Paris wissen und wollte doch. Also erzählte sie nicht
  viel und wir sprachen wie immer über Wissenschaft,
  Kunst, unsere Projekte. Ich wusste, dass sie mich bei
  aller Wertschätzung nicht wollte, im Moment vielleicht
  nur, und dieses Bewusstsein war wie eine schwärende
  Wunde allzeit in mir. Deswegen hing so viel von meinem
  Verhalten ab. Die erste Chance bekam ich nachdem wir
  im Rhiz gewesen waren. Wir hatten angeregt geplaudert,
  das heisst, sie hatte mir viel erzählt und ich mein
  Wissen dann und wann eingestreut. Wie so oft wurde man
  an den Nachbartischen auf uns aufmerksam, auf mich,
  auf uns, beide spornten weir uns zur Dreistigkeit an.
  Ich kannte das, es war eine Mischung aus Neugier und
Übelwollen. Dieses Auffallen konnte ich mir nie ganz
  erklären, es war als ob meine Ignoranz für die
  Umgebung, die aber auf meine Schüchternheit
  zurückzuführen war, ich konnte Unbekannten kaum in die
  Augen schauen, während ich mich an den Freunden
  sattsah, die Menschen aufregte. Dazu kamen die Themen,
über die wir sprachen, immer über Kunst, Film,
  Philosophie. Als ich auch den Namen “Godard“ fallen
  lies, hörte ich undeutlich vom Nebentisch: 
“Auch noch Godard ..“, es war beinahe eine Spur
  feindselig gesagt worden. Das alles verlieh mir einen
  gewissen Nimbus, der auf I anregend gewirkt hatte. Ich
überhörte aber ihre Anspielung gänzlich, sie sagte,
  sie wolle ihrem Liebhaber eines auswischen, ihrem
  ehemaligen, ja ich missverstand sie. Sie wollte nicht
  erklären. Wenn ich so dumm war.
  Schliesslich lud sie mich zu sich ein. Ich ging mit
  dem Bewusstsein hin, dass ich sie verführen wolle. Es
  war 22 Uhr, ein warmer Sommerabend und sie trug ein
  enges T-Shirt und ganz kurze, anliegende Sportshorts,
  was einen starken Eindruck auf mich machte, denn ihr
  Körper war, obwohl jugendlich schlank, beinahe schon
  zu weiblich gerundet. Ich hatte einen Kloss in der
  Kehle. Ich wusste, wenn sie auf dem Bauch lag, dann
  wölbte sich ihr Hintern in einer Weise hervor, die ich
  einmal im Scherz als obszön bezeichnet hatte. Und ihr
  Gesicht strahlte in diesem charakteristischen Glanz,
  der mir wie immer ganz unfassbar vorkam und den ich so
  liebte, ihre leicht geröteten Wangen sandten ein
  weisse weiches Licht aus. Ich wusste nicht woran das
  lag, aber ihre glatte Haut schien dann tatsächlich zu
  leuchten, sodass ihr ganzer Kopf strahlte, als ob er
  von einem Heiligenschein umgeben wäre. Ich hatte das
  bislang nur bei ihr bemerkt, oder so genau schauen
  können, aber vermutlich war es nichts weiter als die
  Energie ihrer Jugend. Ein gesundes, junges Mädchen
  voller Tatendrang. Wir strahlten uns bei der
  Begrüssung an. Aber schon meine erste Handlung
  besiegelte mein Schicksal. Begleitet von ihrem
  erstaunten Blick, der auf den Platz neben ihr wies,
  liess ich mich schwer in den Korbsessel vis-a-vis
  fallen. Wir tranken Wein, sie erzählte von den Buch
  und Wein Geschäft, wo sie ihn gekauft hatte. Ich
  bewundert ihre langen, eingezogenen Beine und kam mir
  wie ein Ehebrecher vor, weil der Anruf von V mich
  nicht loslies, Narr der ich war. Liebte ich denn I,
  fragte er sich. Einmal hatte er es getan, mit einer
  Intensität des Gefühls, die ihm damals neu gewesen
  war. Aber da war V. Warum nur war bei ihm Liebe und
  Sex so verbunden, dachte er. Wir wollen es doch beide.
  Ich begann im Stillen an ihr herumzukritteln. Was
  waren das für Linien auf ihrem Po? Wirkten ihre Füsse
  und Hände nicht ein wenig plump?
  Es ist doch zum Heulen, dachte ich, ich will doch und
  schaffe es nicht mich aufzuraffen, es sich nur zwei
  Meter, die unsere Körper trennen. Dann riss es ihn,
  als sie lächelnd sagte: “Aber wer wird denn da
  heulen?“ 
  Das war zuviel, ich konnte keine Gedankenübertragungen
  mehr verkraften. Denn meine Miene war gleichmütig
  gewesen, dessen war ich mir sicher. Oder hatte ich
  wirklich so jämmerlich dreingeschaut? Nun gut,
  vielleicht ein leichter Tränenansatz war sichtbar.
  Jetzt war ich endgültig erstarrt. Sie startete einen
  letzen schwachen Versuch und klagte über Schmerzen im
  rechten Bein, war es geschwollen, fragte sie mich. Ich
  machte nicht einmal mehr Anstalten aufzustehen, mich
  zu bücken um nachzusehen. Schliesslich schmiss sie
  mich raus. Recht geschah mir. Es war ein so vertrautes
  Gefühl es vermasselt zu haben, dass ich mich nicht
  einmal besonders bedauern konnte. Und da war noch was;
  Mein Wahn. Ich musste die Menschen fliehen, wenn sie
  scheinbar errieten war ich dachte. In diesem Zustand
  konnte ich mir körperliche Nähe schon gar nicht
  vorstellen. Obwohl wahrscheinlich genau das fehlte.
  Wie ging Castaneda: Die leutenden Energieeier der
  Menschen rollen sich, wenn zusammen, ein.
“Begreift er denn gar nichts?“ – hatte sie zum Schluss
  ausgerufen.
  Doch, ich begriff einiges, dass sie mich nicht lieben
  wollte, dass sie sogar Angst davor hatte, vor Liebe
überhaupt, dass sie etwas anders von ihm wollte, dass
  Sexualpartner für Menschen wie sie beide es waren
  nicht auf Bäumen wuchsen, Menschen, die bei aller
  Sinnlichkeit so intellektualisiert waren und so stolz,
  dass sie Gefahr liefen nie zu handeln und sich leicht
  lächerlich machten. Ich konnte mich ihr umso weniger
  nähern, je mehr die Koinzidenzen zunahmen, mein Wahn
  immer mehr Tribut von mir forderte. Doch während ich
  heimging begann gleichzeitig auch schon die
  Rationalisierungsmaschinerie anzulaufen: Es ist wegen
  V, beruhigte ich mich. Ausserdem liebt sie mich nicht.
  Was glaubt sie denn, in Paris zuerst den einen und
  dann hier mich. Und wen, wenn sie in ein paar Monaten
  wieder wegfährt? Ziemlich lächerlich, was ichdachte,
  immer das gleiche. Aber das alles verblasste hinter
  der Ahnung, dass mir gerade das fehlte, dass etwas vom
  alten Rein – Raus – Spiel, Burgess beflügelte seine
  Metaphern, am besten geeignet war, meinen Wahn zu
  mildern. Mit jemandem ins Bett zu gehen der noch
  lebte, nicht mit toten Dichtern. Mit diesem köstlichen
  Mädchen, dem ich so sehr glich, das den Kopf voller
  französischer Romane, wie Puschkin geurteilt hätte,
  und den Körper einer Göttin hatte, wie ich einmal bei
  Gelegenheit zu ihr gemeint hatte, und flink und
  vorlaut war, und nach allem griff, immer in Gefahr,
  sich die Finger zu verbrennen. Vorwärts Juliette, noch
  eine Anstrengung mehr! Ich brachte es nicht bis zur
  Rage. Zorn war der Bruder der Wehmut. 
  Das Leben ging unterdessen weiter und ich stand vor
  der Aufgabe, mich ins Haus zu stehlen, ohne meinen
  Nachbarn zuviel von meinen Gedanken zu verraten. Der
  Weg zurück runter, eine lange Gerade sich der Stadt
  näherend, der Bimweg. “Sum sum, di dum, um hum, jum“,
  summte ich deswegen leise vor mich hin. Kranke
  Gedanken nicht fortzuführen war die Heilung. Ich zog
  schliesslich eine saubere Fluchtlinie die Treppe
  hinauf. Endlich wieder allein. Ich rekapitulierte. In
  meiner Panik hatte er ihr sogar aus dem Pessoa, den
  ich ihr geborgt hatte, vorgelesen, von der unbedingten
  Rücksichtnahme, dem Respekt gegenüber anderen und
  lauter weitere Unpassentheiten. Nein, ich war kein
  Fernando Pessoa, der lissaboner Hilfsbuchhalter, der
  vor lauter Kummer über sein “Gesichtchen“ und über die
  Welt sich im Leben nie eine Frau angelacht hatte. Ich
  war vielmehr stolz auf meine Männlichkeit und eitel.
  Und eine leicht wahnsinniges Muttersöhnchen.
Weitere Reflexionen
Es kam mir immer mehr vor, als ob mein Leben nicht
  mehr mir gehörte. Die Leute machten damit was sie
  wollten und wenn ich es genau bedachte, war das im
  Grunde eine universale Wahrheit. Drückt jemand auf den
  berühmten roten Knopf, verglühen die Unschuldigen im
  Ascheregen. Mischt jemand Kühlflüssigkeit in den Wein
  den sie tranken, verenden sie qualvoll. Kalkulierbares
  Risiko, das stimmte! Aber wenn sie bis in meinen Kopf
  eindrangen, mir die Flügel meiner ganz privaten
  Gedanken stutzen konnten? Dann blieb nur noch das
  Irrenhaus. Es war das ein ungesunder Gedanke. Ich
  brauchte mehr Disziplin, mehr Aufmerksamkeit.
  Vielleicht sollte ich wieder zum Meditieren anfangen?
  Vielleicht sollte ich eine gemeinsame Praxis üben?
  Eine Zen-Geschichte fiel mir ein.
Geschichte
Ein Mönch verliess nach vielen Jahren das Kloster, in
  welches er als Junge eingewiesen worden war, weil er
  keine Fortschritte machte. Er stolperte in der
  unbekannten Stadt direkt ins Rotlichtviertel und wurde
  von einer Prostituierten verführt. Und auf dem
  Höhepunkt erlebte er endlich die solange vergebens
  ersehnte sogenannte Erleuchtungserfahrung. 
  Diese Geschichte hatte ich vor längerer Zeit gelesen.
  Auch so was stand in der Zenliteratur. Der Mönch
  gründete eine Schule, die den Koitus zur Methode
  machte und hatte viele Schülerinnen. Es war vielleicht
  dumm, auf so etwas Vagem wie Sex zu bauen. Die 60er
  Jahre hatten es versucht.
Zwei Erklärungen
Mein Wahn erschreckte mich nicht an und für sich. Ich
  hätte mich mit einer Welt, in der Telepathie und
  Mystik Realität und anerkannt waren, leicht abfinden
  können. Vielleicht wünschte ich sie sogar und das war
  der geheime Grund für meine Verwirrung. Aber diese
  Erklärung war zu einfach.
  Was mich wirklich verstörte war seine Rolle in einer
  solchen Welt. Es war alles zu sehr auf mich bezogen,
  oder vielmehr, ich bezog alles zu sehr auf sich. Das
  war das krankhafte daran und es missfiel mir. Aber man
  konnte die Koinzidenzen, die Simultanitäten, wie C.G.
  Jung es genannt hatte, auch anders betrachten.
Liesse man die Welt wie sie war und einen Glauben an
  gewisse Praktiken die, sagen wir einmal, den
  Herz-Geist-Körper als Anwendungsgebiet hatten, wie
  etwa Meditation oder die Kampfkünste gelten, entschied
  man sich mit einem Wort für ein magisches Universum
  dann konnte man sich durchaus damit versöhnen, ja man
  konnte darin agieren.
Als zweite Möglichkeit konnte man ohne weiters auch
  dem sozialen Leben allein in seinen tatsächlich
  Gegebenheiten eine dermassen feine Ausformung
  zugestehen, dass Stimmungen argumentierbar werden die
  es ermöglichen, gewisse Situationen vorauszuahnen und
  Menschen manchmal zu durchschauen, weil eben
  Stimmungen und Ereignisse die Eigenschaft haben sich
  zu zeigen, in der Luft zu liegen, dazumal die
  Möglichkeiten und Kombinationen begrenzt waren, es war
  das alles nicht so viel, nicht so schwierig, so neu. 
  Diese zweite Betrachtungsweise war höchst einfach und
  tatsächlich für viele Situationen auch wahr. Ich
  erlebte oft, wie ich allein durch das aufmerksame
  Zuhören erriet, was mein Gesprächspartner sagen würde.
  Doch war es immer so? Dann waren die Koinzidenzen
  lediglich Ausdruck eines Zusammentreffens von einigen
  möglichen Elementen und vorhersehbar. Wenn man
  jemanden beleidigte, dann war dieser Jemand zornig.
  Oder? In der Weise würde man sich lediglich
  vorstellen, was sowieso drauf und dran war zu
  passieren, oder was zumindest denkbar war. Und da die
  gesellschaftliche Sphäre nicht nur ausdrucksstark und
äusserst verfeinert, sondern selbstverständlich auch
  sehr wirkungsvoll war, hatte ich eben auch im üblichen
  Reigen der Menschen mitgespielt. Ein Gesicht wie eine
  Landschaft, beides beeindruckte mich tief. Ich hatte
  mich nur ungewöhnlich stark konzentriert und so war
  mir, als ob viel mehr Eindrücke auf mich einprallten,
  viel mehr Gedanken, obwohl ihre Anzahl objektiv
  gleichgeblieben war. Ich beobachtete um so schärfer,
  als ich meine gewöhnlichen Ängste und Sorgen
  abgestellt hatte, ich geradezu ernüchtert geworden
  war. Ich lebte nicht wie im Dauerrausch eines
  Süchtigen unablässig die Sorge um das Selbst. Der
  erste Feind, die Angst war gestellt, aber nicht
  besiegt. Ich stand ihr Aug in Aug gegenüber und lernte
  ihre Schwächen und Stärken kennen, während wir uns
  gegenseitig umkreisten. Die Angst war sozusagen keine
  vage Nebelwand mehr, die ungreifbar, überall war. Was
  man kannte, damit konnte man versuchen umzugehen. Oder
  davor weglaufen, in die Gegenrichtung, sich auf den
  Atem konzentrieren, und (oder oder) erkennen, dass es
  gar keinen Feind gab, oder erklärbar, wenn nicht
  erlebt. So hoffte ich jedenfalls. Vielen, die verrückt
  waren oder wurden, musste es so ergehen. Irgendetwas
  hatte sie konzentriert, sie von den angelernten
  Pflichten und Sorgen weggehoben und sie der Angst
  gegenübergestellt. Wie sollten sie damit umgehen,
  allein? Ich kannte erstaunliche Berichte von
  Schizophrenen, zu denen der einzige Zugang einzig und
  allein über das langwierige Begreifen und
  Nachvollziehen ihres speziellen Zustands führte. Doch
  ich wusste auch, dass insgeheim alle ein Ressentiment
  gegen die Verrückten pflegten. Es war doch ohnehin
  schwierig genug sich durchzuschlagen, niemand war
  gefeit gegen die Morbitäten des Lebens. Warum sollten
  sich gerade die Verrückten davonstehlen können?
Die Kühe
Und das nächste seltsame Ereignis lies nicht lange auf
  sich warten, doch diesmal hatte es nicht mit Menschen
  zu tun.
  Er war bei seinem spirituellen Freund zu Besuch, um
  ein Wochenend – Retreat zu machen. Es war an der Zeit
  weiterzumachen, wo er bei Meditieren aufgehört hatte.
  Er konnte auf seinen Wahn nicht ewig Rücksicht nehmen,
  und vielleicht half es ihm ja im Gegenteil dabei,
  wieder normaler, ruhiger, weniger exaltiert, zu
  werden.
  H hatte am Land ein Haus, seine Eltern wohnten dort,
  und es war ein magischer Ort. Wenn man spazieren ging
  folgten einem die Hauskatzen, und weiter oben beim
  Wald gab es einen zeitlosen Platz, von dem man kein
  Zeichen der Zivilisation sehen konnte, sondern von
  Natur umgeben war, Heiden, Wälder, Berge, Himmel.
  Gleich nach seiner Ankunft traten sie den
  traditionellen Spaziergang zu diesem Wald an. Vor dem
  Haus weideten träge rund ein Duzend Kühe. Er bekam so
  grosse Tiere selten zu Gesicht, als Kind hatte er
  regelrecht Angst vor Kühen, und absichtlich ignorierte
  er sie, diese Wiederkäuer, er tat es tatsächlich aus
  einer spielerischen Bosheit ihnen gegenüber, die ihn
  so offen anstarrten, als sie beide sich ihnen nährten.
  Er tat einfach wie gegenüber allem Ungewohnten: Er
übersah es. Der Effekt lies nicht lange auf sich
  warten. Aus heiterem Himmel begannen sie allesamt,
  gleichzeitig zu muhen. Als ob sie über sein Verhalten
  bestürzt wären - Nein, aufgebracht über diese doch so
  seltene Gelegeheit, die Fauna in ihrer Gestalt zu
  ehren.
  Es war ein wirklich schöner Tag und wie es am Lande
  die meiste Zeit ist, seht still. Nur die neu gebaute
  Autobahn summte und flimmerte, ein dünner,
  vielfarbiger unscharfer Schnitt in der Landschaft weit
  weg am Bergsaum, aber die hatten wir im Rücken. Und
  dieses aus circa ein Duzend Kehlen in diese Stille
  hereingebrochenes Signal war immens laut, ähnlich wie
  ein Nebelhorn klang dicht neben einer verschlafenen
  Hafenstadt. Es brachte ihn ein wenig aus der Fassung.
  Er zweifelte keinen Augenblick, d.h. nachdem noch
  einmal geschaut hatte, ja, sie schauten ihn, den
  Fremden unverwandt an, folgten ihm mit dem Blick, dass
  sie über ihn so aufgebracht waren, eindringlich
  schauten sie mich alle an, ohne Ausnahme, nur Helm
  kümmert sich nicht weiter darum, es waren schliesslich
  die Hauskühe. Eine ganze Sippe und der Eindringling.
  Doch wirkte auch der Teemeister irritiert. Es war
  eines dieser Zeichen, die zum Denken anregten,
  tatsächlich ein Schock. Er musste was unternehmen. Und
  so wandte er sich um, sie waren mittlerweile an den
  Kühen vorbeigegangen und grinste sie freundlich an,
  winkte und rief ihnen zu: “Ja Hallo! Ist schon gut,
  sevus, wie geht´s denn?“. Tatsächlich beruhigten sie
  sich auf der Stelle. Wir sprachen nicht weiter
  darüber, die Situation war offensichtlich absurd
  gewesen. Ereignisse dieser Art waren so unglaublich
  und dabei so unnütz, als ob seine Wirkkraft in der
  Welt, wenn es eine solche gab, flüchtig wie Alkohol
  war, gänzlich untauglich, in harte Münze geschlagen zu
  werden. Eine Gunst der Stunde, ein unnachahmlicher
  Augenblick, in dem er fühlte, dass die Sprache
  unvermögend ist solche Ereignisse zu fassen, auch im
  Nachhinein, in vijana, der Reflexion, dass das was ihn
  so oft unerwartet traf nicht in die gebräuchlichen
  Aussagegefüge passte weil es irrelevant war und zu
  singulär, um es zu verallgemeinern, sicherlich gab es
  einen Mangel an passenden Begriffen. Deswegen gab es
  ja so viel Text. Alles musste, im Detail, immer und
  immer wieder besprochen werden, wer konnte wissen,
  wann welcher Punkt gerade benötigt wird. Ich war mit
  Stummheit geschlagen und das war gut so, denn ich
  musste damit alleine fertig werden. Seine Freunde
  durften nicht anfangen, ihn für einen Verrückten zu
  halten, ich hatte ohnedies die Genugtuung, dass sie
  oft Zeugen der Koinzidenzen und dadurch gleichzeitig
  heimliche Mitverschwörer wurden.